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Zeitenwende: Die Friedensdividende ist aufgezehrt

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Matthias Iken
Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

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Foto: Andreas Laible / Funke Foto Services

Frank-Walter Steinmeier hält eine mutige Rede - aber kaum einer hört ihm zu: Vor uns liegen harte Zeiten

Hamburg. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Sonntag eine Rede gehalten, die im Lande leider etwas unterging. Beim Friedenskonzert der Berliner Philharmoniker stimmte er die Deutschen auf schwere Zeiten ein und mahnte, die Bereitschaft zu Einschränkungen werde noch lange gefordert sein. „Viele Härten liegen erst noch vor uns.“ Da diese Rede nicht so verfing, hat Minister Klartext die Botschaft nun noch einmal wiederholt: „Wir sind quasi Kriegspartei, als Wirtschaftskriegspartei. Und wir zahlen auch einen Preis“, sagte Robert Habeck im ZDF. „Das muss man so klar sagen: Wir werden dadurch ärmer werden. Die Gesellschaft wird es tragen müssen.“

Offenbar glauben manche immer noch, wir drosseln die Heizung etwas runter – und das Leben geht wie gewohnt weiter. Schön wär’s. Unser ganzes deutsches Modell steht plötzlich auf dem Prüfstand: Wir haben uns bei der Verteidigung auf die USA verlassen, bei den Rohstoffen auf Russland, beim Export auf China. Jetzt stehen wir ziemlich verlassen da. Die Friedensdividende ist aufgezehrt – und kaum ein Land dürfte es so hart treffen wie die Bundesrepublik.

Deutschland hatte von der Überwindung der Blöcke besonders profitiert

„Heute Nacht sind wir das glücklichste Volk der Welt“ sagte Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper (SPD) nach dem Mauerfall 1989. Manchmal drängte sich der Eindruck auf, die Deutschen konnten ihr Glück in den Folgejahren kaum fassen. Deutschland fuhr – plötzlich umgeben von Freunden – seine Verteidigungsausgaben gewaltig zurück. Ein Blick auf den Haushalt zeigt das Ausmaß: Lagen die Militäraufwendungen Anfang der 1980er-Jahre noch bei knapp drei Prozent des Bruttoinlandsprodukt, wurde 1992 die magische Marke von zwei Prozent durchbrochen. In den vergangenen Jahren dümpelte die Quote zwischen 1,1 und 1,4 Prozent – nun soll sie rasch auf zwei Prozent steigen. Das wird Milliarden kosten. Und das Geld wird nicht aus der Wand kommen, sondern vom Steuerzahler.

Das ist nur ein Teil der gestrichenen Friedensdividende. Energie wird ebenfalls teurer werden, vielleicht wird sie sogar knapp. Deutschland hatte von der Überwindung der Blöcke besonders profitiert und stets an einen Wandel durch Handel geglaubt. Dieser Glaubensgrundsatz ist nun erschüttert. Wenn die Russen wirklich kein Gas mehr nach Europa liefern, wird das nicht nur die deutsche Wirtschaft schwer erschüttern, die rund die Hälfte des Gases aus dem Land des Kriegstreiber importiert, sondern halb Europa. Finnland mit einem Anteil von 94 oder Lettland mit einem Anteil von 93 Prozent würden noch härter getroffen, auch wichtige Handelspartner wie Italien mit einem Russengas-Anteil von 40 Prozent würden in die Rezession rutschen.

In diesen Tagen werden die Märkte neu verteilt

Freiwillig aus dem Gasimport auszusteigen gleicht einem kollektiven Selbstmord. „Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich“, sagte nun BASF-Chef Martin Brudermüller der „FAZ“. In diesen Tagen werden die Märkte, ja wird die Welt neu verteilt. Joe Biden ist zwar Anführer der freien Welt, vor allem aber ist er US-Präsident. Natürlich geht es ihm um die Freiheit der Ukraine, aber es geht ihm auch um den Wohlstand daheim. Das große Geschäft mit Flüssiggas, das nun wie geschmiert läuft, kommt ihm zupass.

Bidens Losung ist klar und reimt sich auf Trump: „Mehr Dinge in Amerika herstellen, damit mehr amerikanische Arbeitnehmer einen Beitrag leisten und ein gutes Einkommen erzielen.“ Das Siegel „Made in America“ soll ab 2029 nur noch bekommen, wer 75 Prozent eines Produkts in den USA herstellt. Heute reichen 55 Prozent. Die USA sind größter Abnehmer deutscher Waren weltweit; bei keinem Land ist unser Exportüberschuss so groß. Nun wird die Globalisierung rückabgewickelt.

Geschäfte mit China dürften schwieriger werden

Auch das ist für Deutschland, den Hauptprofiteur der Globalisierung, keine richtig gute Nachricht. Ganz im Gegenteil: Durch die Spaltung der Welt in Inter­essensphären dürften die Geschäfte mit dem größten Handelspartner China schwieriger werden. Bei den Importen steht die Volksrepublik auf Rang 1 – der Hamburger Hafen lebte lange Zeit prächtig vom Handel mit dem Reich der Mitte.

Viele Härten liegen noch vor uns. Immerhin: Magere Jahre sind den Deutschen zuletzt besser bekommen als fette Jahre. Und die neuen Köche in Berlin machen den Eindruck: Wir schaffen das.

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