Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck sagen, dass Deutschland im Moment auf Gas, Öl und Kohle aus Russland nicht verzichten kann, klingt das angesichts der Bilder aus der Ukraine gefühllos und zynisch. Und natürlich möchte man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am liebsten sagen, dass er sich seine Rohstoffe sonst wohin stecken kann.
Doch die Realität ist eine andere, so traurig es ist: Es wäre ein Fehler, wenn Deutschland und Europa von heute auf morgen die Lieferungen aus Russland stoppen würden, weil man damit nicht nur Putin, sondern auch sich selbst schaden würde. Der abrupte Verzicht insbesondere auf Gas würde viele Staaten der EU, Deutschland ganz besonders, nachhaltig schwächen in einer Phase, in der man besonders stark sein muss, um die Folgen des Krieges für die ukrainische Bevölkerung auffangen zu können.
Deutschland wird sich nach und nach vom russischen Gas unabhängig machen
Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen eines Importstopps für Energie aus Russland wären unkalkulierbar und, bei allem, was man weiß, kaum länger als ein paar Wochen oder Monate durchhaltbar. Die zeitliche Dimension der Auseinandersetzung des Westens mit Russland wird aber eine völlig andere sein, wir reden wohl mindestens über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte. Und deshalb müssen Politikerinnen und Politiker im Moment genau unterscheiden zwischen Maßnahmen, die akut gegen den Krieg helfen, und anderen, die eher langfristig ihre Wirkung entfalten werden.
Die Frage, wie wir als Deutsche mit Energie aus einem Land umgehen, das einen Angriffskrieg führt, gehört eher in die zweite Kategorie. Und der Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde daran nicht arbeiten, wäre unfair. Deutschland hat längst begonnen, die Liefermengen zu reduzieren, und wird sich nach und nach vom russischen Gas, von Kohle und Öl unabhängig machen.
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Auf Kohle aus Russland werden wir schon innerhalb der nächsten Monate komplett verzichten können; der Bedarf an Erdöl dürfte, wenn alles gut läuft, bis zum Jahresende auf null sinken. Gas bleibt das größte Problem, aber auch hier lässt sich die Menge schrittweise reduzieren, wobei jeder Einzelne etwas dazu beitragen kann, indem er es so wenig wie möglich verbraucht. Das mag unbefriedigend klingen, weil man am liebsten ab sofort keinen Euro mehr nach Russland überweisen würde. Aber Putin wird bald merken, wie die Einnahmen aus dem Verkauf der Rohstoffe, von denen sein Land wirtschaftlich so abhängig ist, deutlich zurückgehen. Und um die Wirtschaft und den Staat finanziell in die Knie zu zwingen, braucht es den Importstopp nicht: Dies geschieht so oder so. Russland ist einer Pleite deutlich näher als einem Sieg in der Ukraine.
Wladimir Putin wird der größte Verlierer sein
Wobei: Was heißt hier Sieg? Schon jetzt ist klar, dass es in diesem Krieg nur Verlierer geben wird, und der größte wird der Aggressor selbst sein. Vielleicht ahnt Wladimir Putin das schon, vielleicht nicht – entscheidend ist, dass all die vielen Staaten und Regierungen, die die Ukraine und ihr tapferes Volk unterstützen, jetzt keine Fehler machen.
Ja, es fällt schwer, angesichts der unfassbaren Kriegsverbrechen ruhig zu bleiben, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber es ist die beste Strategie gegen den Hitzkopf, der im Kreml sitzt. Putin versteht nur eine Sprache, und die muss eindeutig, hart und konsequent sein. All das, was der Westen ankündigt, muss er umsetzen und so lange durchhalten können, bis Putin seinen Krieg beendet. Bisher haben Deutschland und seine Verbündeten vieles richtig gemacht, und nur deshalb ist die Einheit gegen Russland auch so stark wie nie zuvor. Größtes Ziel muss sein, dass dies so bleibt. Denn eins haben wir hoffentlich alle gelernt: Putin verzeiht keine Schwächen.
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