Hamburg. Hätte die Stadt nicht nur das Schulterblatt, sondern auch eine wirkliche Schulter, sie würde in diesen Tagen sicherlich schmerzen: So viel Zuspruch, Lob und Anerkennung wie zum fünften Geburtstag der Elbphilharmonie hat Hamburg selten erfahren – und sogar die lautesten Kritiker von einst haben ihren Frieden mit diesem Prestigebau gemacht.
Die Kosten in Höhe von 866 Millionen Euro sind heute mehr oder minder vergessen, weil das Ziel aufging: Das Konzerthaus hat die Hansestadt in die Champions League der Musik katapultiert und zugleich Hamburg auf die Weltkarten der internationalen Metropolen gezaubert. Man kann den Politikern von 2007 – damals übrigens eine inoffizielle schwarz-grüne Koalition – nur zu diesem Mut gratulieren. Was für eine tollkühne Tat!
Wer heute eine Elbphilharmonie bauen wollte, würde verspottet
Leider wäre sie heute komplett undenkbar. Wer heute eine Elbphilharmonie bauen wollte, würde verspottet, verhöhnt, verlacht. Hamburg setzt derzeit lieber auf das kleine Karo als auf den großen Wurf. Der nachvollziehbare Strategiewechsel von Olaf Scholz, nach Jahren des Wolkenkuckucksheim die Politik wieder zu erden, stößt nun an ihre Grenzen. Keine Vision, nirgends.
Natürlich hat das viel mit Corona zu tun – die Pandemie saugt sämtliche Aufmerksamkeit der Politik auf. Mit Bürgermeister Peter Tschentscher und Sozialsenatorin Melanie Leonhard sind die beiden stärksten Figuren der Sozialdemokraten komplett gebunden. Und doch mutet grotesk an, dass die spektakulärste Idee des neuen Bürgermeisters Tschentscher – formuliert in seiner ersten Regierungserklärung 2018 – über zwei Jahre nicht vorangekommen ist: Der Neubau der Asklepios Klinik Altona verzögert sich erheblich.
Wirkliche Visionen haben derzeit in der Politik nur die Grünen
Auch das ist nicht ohne eine gewisse Symbolik: Mit Ole von Beust verbinden die Hamburger die Elbphilharmonie, mit Olaf Scholz den Elbtower – und mit Peter Tschentscher ein Krankenhaus? Da kann und muss noch mehr kommen.
Aber Visionen sind derzeit kaum zu sehen. Die Öffentlichkeit verlangt nicht nach ihnen, die Handelskammer hat seit den Kammerrebellen ihre Impulskraft eingebüßt, und viele Medien konzentrieren sich lieber ganz auf die Pandemie.
Wirkliche Visionen haben derzeit in der Politik nur die Grünen – Umweltsenator Jens Kerstan bringt die Energiewende voran, Verkehrssenator Anjes Tjarks die Verkehrswende. Fraglich ist nur, ob das allein die Stadt im Wettstreit der Metropolen zukunftsfähig macht. Der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft ist noch ein Hoffnungsträger – aber darauf setzen Dutzende von Regionen.
Hamburg muss mit seinen Leuchttürmen strahlen
So bleibt die Frage unbeantwortet: Wovon will die Stadt in zehn, 20 oder 30 Jahren leben? Womit will sie junge Talente anlocken, Unternehmensgründer, Kreative? Der neue Wissensstadtteil ist eine prima Idee, aber auch gute Ideen benötigen eine Erzählung, eine Überschrift, ein „Narrativ“.
Einst war das die „Wachsende Stadt“ – ein Slogan, der zu einer Prophezeiung wurde, die sich selbst erfüllte. Wie kann die Stadt des Wissens national und international Strahlkraft entwickeln? Und in welchen Bereichen will Hamburg wirklich führend sein? Welche Stärken lassen sich stärken – und wo ist der Neuanfang von vornherein zum Scheitern verurteilt? Hamburg ist stark in der Luftfahrt, aber auch im Handel, dem Gesundheitswesen und der Biotechnologie. Auf diese Kompetenzen lässt sich bauen – ob bei neuen Antrieben für Flugzeuge, der Digitalisierung im Handel oder mit Forschungseinrichtungen für die Biowissenschaften. Hamburg muss nicht nur mit seinen Pfunden wuchern, sondern mit seinen Leuchttürmen strahlen.
Hamburg benötigt eine neue Elbphilharmonie – des Wissens
Altes Geld muss in neue Investments fließen, statt Schiffsbeteiligungen sollten die Vermögenden ihr Geld in Ideen, Köpfe, Start-ups anlegen. Die Kühne Logistics Universität oder die Bucerius Law School sind gute Schritte gewesen, aber das reicht noch nicht. Wo bleibt der Sponsor für eine Hochschule der Energiewende oder der Impulsgeber für eine Universität der Biowissenschaft?
Wo ist der Platz, auf dem solche Ideen diskutiert werden? Wo sind die Parlamentarier, die diese Diskussion befördern? Und wo die Politik, die für den Aufbruch steht? Wenn Hamburg auf Dauer erfolgreich sein will, reicht nicht das Abarbeiten von Wohnungsbauzielen. Hamburg benötigt eine neue Elbphilharmonie – dieses Mal nicht eine Kathedrale der Kultur, sondern des Wissens.
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