Meinung
Meine wilden Zwanziger

Meine „Me Time“ an der Ostsee

| Lesedauer: 5 Minuten
Annabell Behrmann
 Annabell Behrmann (29) ist Redakteurin des Abendblatts.

Annabell Behrmann (29) ist Redakteurin des Abendblatts.

Foto: Thorsten Ahlf

Ja, ich habe einige Tage ganz allein in einer Ferienwohnung an der Schlei verbracht. Warum? Weil ich das schon immer wollte ...

Vergangene Woche bin ich das erste Mal in meinem Leben alleine verreist. Für viele Menschen ist das überhaupt nichts Besonderes, sie haben die ganze Welt für sich erkundet – ich hingegen hatte im Urlaub bisher immer Partner, Familie oder Freunde an meiner Seite. Selbst auf Pressereisen gehörte ich einer Gruppe von Journalisten an, war nie auf mich selbst gestellt.

Schon immer aber habe ich davon geträumt, mich alleine in einer Ferienwohnung am Meer einzuschließen und an einem Kinderbuch zu schreiben. Das habe ich nun endlich gemacht und mich ein paar Tage an der Ostsee in Olpenitz einquartiert – und kann nur jedem empfehlen, mal ein wenig Zeit mit sich zu verbringen.

Als ich anderen von meinen Plänen berichtete, hatte ich das Gefühl, mich erklären zu müssen. Ich habe stets betont, dass ich zu Hause ja keine Ruhe zum Schreiben finden würde. Und mich deswegen woanders einmiete. Ich hatte Angst, jemand könnte denken, niemand hätte sich überreden lassen, mit mir einen Kurztrip zu verbringen. Oder ich hätte mich mit meinem Freund gestritten und würde nun in einer tiefen Sinnkrise stecken.

Doch die Reaktionen fielen komplett anders als befürchtet aus. Niemand fand es merkwürdig, dass ich alleine verreisen wollte. Im Gegenteil: Viele Freunde meinten, dass auch sie schon immer mal ohne irgendjemanden in den Urlaub fahren wollten. Mehrere Freundinnen haben mir sogar erzählt, dass sie sich an Abenden, an denen ihr Partner verabredet ist, extra nichts vornehmen, um Zeit für sich zu haben.

Was ist eigentlich "Me Time"?

„Me Time“ ist der moderne Begriff, der gern auf Instagram unter Fotos aus der Badewanne gepostet wird. Er bedeutet, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Sich nur um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Sich an niemanden anpassen zu müssen. Meine „Me Time“ an der Ostsee habe ich gefüllt mit Sport, Kitschfilmen im Bett, Essen, Spaziergängen und vor allem mit Schreiben. Ich liebe es, umringt von Menschen zu sein – aber ich habe es auch genossen, einige Tage nur für mich zu haben.

Olpenitz liegt natürlich nicht weit entfernt von Hamburg. Nicht einmal zwei Stunden habe ich mit dem Auto von zu Hause aus an die Schlei gebraucht. Hinzu kam: Ich hatte eine Beschäftigung, saß die meiste Zeit mit einer Gesichtsmaske oder Haarkur vor dem Laptop und habe geschrieben. Es ist natürlich herausfordernder, eine Städtereise zu machen und alleine Paris oder Rom zu erkunden. Mein Kurztrip war alles andere als ein waghalsiges Abenteuer. Kein Yoga-Workshop auf Bali. Kein Roadtrip an der Westküste der USA. Schon gar keine Weltreise. Aber ich habe festgestellt: Man muss gar nicht so weit wegfahren, um zur Ruhe zu kommen, etwas für sich zu tun und Energie aufzutanken.

Meine innere Mitte habe ich allerdings kurz verloren, als mich Bauarbeiter morgens mit ihren nicht ganz so zarten Stimmen aus dem Schlaf gerissen haben. Sie haben sich lautstark auf Polnisch unterhalten, sodass ich leider nicht mitreden konnte. Drei Tage lang habe ich auf einer Baustelle gewohnt. Die gesamte Ferienwohnung hat vibriert, als die Kreissäge zum Einsatz kam und Steinplatten im unmittelbar angrenzenden Durchgang ausgetauscht wurden. Zum zweiten Mal ist meine innere Mitte nach dem Urlaub ins Wanken geraten, als mir sagenhafte 20 Euro als Entschädigung für den Lärm angeboten wurden.

Auszeit, um den Akku aufzuladen

Genossen habe ich meine „Me ­Time“ trotzdem. Besonders dringend brauche ich sie, wenn der Alltag am stressigsten ist. Wenn ich von einem Termin zum nächsten hetze, auf meinem Handy zig Nachrichten aufploppen. Die wenige Freizeit, die mir bleibt, verbringe ich viel zu häufig damit, mich durch Instagram zu scrollen und mir das Leben der anderen anzuschauen – anstatt mich mit meinem eigenen zu beschäftigen.

Doch gerade bei den ganzen Eindrücken, die tagtäglich von außen auf uns einprasseln, ist es umso wichtiger, Zeit für sich einzuplanen. Auch wenn mein Terminkalender noch so voll ist, versuche ich, mir Abende frei zu halten, an denen ich mir etwas Gutes tue – mir leckeres Essen koche, mir anschließend einen Schokoeisbecher mit Keksstückchen gönne und die Netflix-Serie einschalte, die ich gerne sehen möchte. Nach meiner Auszeit freue ich mich umso mehr, mit aufgeladenem Akku wieder umgeben von Menschen zu sein.

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