Hamburg. Manche politischen Entscheidungen sind schwer zu verstehen. Als im Frühjahr und Sommer die Zahl der Corona-Neuinfektionen zurückging, die Inzidenzen im niedrigen zweistelligen Bereich lagen und das Einzige, was exponentiell anstieg, die Impfungen gegen das Virus waren, hieß es in Norddeutschlands Schulen: Maskenpflicht für alle.
Jetzt, im Herbst, steigen die Corona-Zahlen wieder, und zwar früher und schneller als erwartet. Die meisten Impfzentren haben geschlossen, die Impfkurve hat sich abgeflacht, das Leben verlagert sich wieder von draußen nach drinnen, Lüften wird schwieriger, weil es kälter ist. Und was wird für die Schulen in Schleswig-Holstein verkündet und für jene in Hamburg diskutiert?
Schleswig-Holstein hebt Maskenpflicht auf
Das Ende der Maskenpflicht! In Schleswig-Holstein sollen Schülerinnen und Schüler ab Montag in ihren Klassenzimmern wieder Unterricht haben dürfen wie vor der Pandemie. Es gibt nur zwei klitzekleine Probleme: Die ist noch gar nicht zu Ende, und Kinder bis zwölf Jahre sind nach wie vor die Einzigen, die sich nicht gegen Corona impfen lassen können …
Das scheint die Politik in Kiel ebenso wenig zu interessieren wie die Erfahrungen, die andere Bundesländer gemacht haben. In Thüringen und Bayern etwa gibt es die Maskenpflicht in den Schulen schon länger nicht mehr, dafür verzeichnen erste Städte und Landkreise dort bei Schülerinnen und Schülern bis 14 Jahre Inzidenzen von mehr als 500. Insgesamt kommt Thüringen im Moment auf 241,8 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen, Bayern auf 191,3.
Deutscher Lehrerverband fordert Maskenpflicht
Der Deutsche Lehrerverband fordert angesichts dieser Zahlen genauso wie Virologen dringend die Rückkehr zur Maskenpflicht – und Schleswig-Holstein gibt sie ohne Not freiwillig auf. Ja, es ist gerade für Grundschüler nicht schön, stundenlang mit einer Maske im Klassenraum zu sitzen, und natürlich wäre es besser, wenn sie die Gesichter ihrer Lehrerinnen und Mitschüler sehen könnten. Doch gleichzeitig haben sich die Kinder inzwischen an das Tragen gewöhnt, das Prozedere ist bewährt und eingespielt, und ein wirkungsvoller Schutz gerade für die, für die es keinen anderen Schutz gibt.
Den jetzt aufzugeben ist fahrlässig, und das nicht nur, weil man damit viele Infektionen und einen weiteren Anstieg der Corona-Inzidenzen riskiert, mit den Folgen, die wir alle kennen. Mindestens genauso unverantwortlich ist es, den in den vergangenen Monaten gut funktionierenden Präsenzunterricht durch eine Vielzahl von Quarantänen, und die werden mit Sicherheit kommen, wieder durcheinanderzubringen.
Ungewöhnlich hohe Zahl von Erkältungskrankheiten
Überhaupt gibt es keinen schlechteren Zeitpunkt, die Masken abzusetzen, als Anfang November. Denn die Kinder (und ihre Lehrerinnen und Lehrer) werden in diesem und den nächsten Monaten nicht nur Corona-, sondern auch vielen anderen Viren ausgesetzt sein, und das – nach anderthalb Jahren strengster Hygieneregeln – mit voller Wucht.
Schon jetzt klagen Kinderärzte über eine ungewöhnliche hohe Zahl von Erkältungskrankheiten, die wegen der Jahreszeit weiter steigen dürfte. Der Maskenverzicht wird diese Entwicklung beschleunigen und zu Klassen mit vielen leeren Plätzen und genervten Schulleitungen führen, die organisatorische Höchstleistungen werden vollbringen müssen.
Hamburg sollte Maskenpflicht beibehalten
Der Wegfall der Maskenpflicht in Schulen ist wohlfeil, er signalisiert eine Entspannung der pandemischen Lage, die es nicht gibt. Deshalb sollte Hamburg auf keinem Fall dem Beispiel des Nachbarn folgen. Und Schleswig-Holstein, das in der Krise so viel richtig gemacht hat, sollte noch einmal nachdenken, ob es nicht besser ist, bis zum Frühjahr mit Masken zu unterrichten, als irgendwann gar nicht mehr zu unterrichten.
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