Meinung
Leitartikel

FDP und Grüne – die Selbstüberhöhung

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Lars Haider
Lars Haider ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Lars Haider ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.

Foto: Andreas Laible / HA

FDP und Grüne sollten sich vor Sondierungen nicht größer machen, als sie sind. Die Parteien haben keinen Grund zur Selbstüberschätzung.

Hamburg. Wenn Christian Lindner in diesen Tagen sagt, dass die künftige Partei des Kanzlers bei der Bundestagswahl von 75 Prozent der Menschen nicht gewählt worden sei – und damit den neuen, stärkeren Gestaltungsanspruch rechtfertigt –, vergisst er eins: Seine FDP hat von fast 89 Prozent keinen Auftrag bekommen, eine Regierung zu bilden.

Es gibt also, weder bei den Liberalen noch bei den etwas stärkeren Grünen, einen Grund, die eigene Bedeutung und Rolle bei den Koalitionsverhandlungen zu überschätzen. Vor allem müssen beide aufpassen, dass sie die Demut, die sie angesichts der Größe der Aufgabe (es geht um die Zukunft des Landes!) und des Ausgangs der Wahl von CDU/CSU und SPD einfordern, nicht selbst vermissen lassen.

Große Koalition ist als Alternative noch möglich

Das Spiel, das Grüne und FDP im Moment spielen, ist nicht ungefährlich. Erstens, weil es am Ende eben doch eine Alternative zu ihrer Regierungsbeteiligung geben könnte, nämlich die Große Koalition. Die will im Moment niemand, aber das war vor vier Jahren genauso. Und wie es ausgegangen ist, wissen wir alle. Zweitens, weil die Glaubwürdigkeit der beiden Parteien leiden könnte, wenn aus großen Gegnern in Rekordzeit gute Freunde werden.

Vor der Wahl gab es kaum ein Interview, in dem Christian Lindner nicht sagte, dass ihm die „Fantasie“ fehle, wie seine Liberalen mit den Grünen zusammenkommen könnten, und diese als Linke im bürgerlichen Gewand bezeichnete. Und nach der Wahl, genauer gesagt zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale, in der „Elefantenrunde“?

Nun doch: Gespräche zwischen Lindner und Baerbock

Da bietet derselbe Christian Lindner der grünen Spitzenkandidatin Annalena Baerbock scheinbar spontan, vermeintlich unter dem Eindruck des besonderen Wahlergebnisses, an, man möge doch erst mal gemeinsam sondieren, bevor man mit einer der Kanzlerparteien rede. Und Baerbock sagt scheinbar genauso spontan zu.

Zu spontan, um wahr zu sein. Schon Wochen vor dem 26. September sprachen liberale Politiker in Berlin davon, dass es doch am besten wäre, wenn man nach der Wahl die nächste Regierung mit den Grünen klarmache, ohne die beiden ginge sowieso nichts. Das war eine richtige Einschätzung, zeugt aber zugleich von einem besonderen Demokratieverständnis. Ebenso wie jene offenbar im Vorfeld erfolgte Posten- und neue Rollenverteilung bei den Grünen: Es ist auffällig, dass seit Sonntag nicht mehr Annalena Baerbock, sondern Robert Habeck den Ton angibt, und wie.

Habeck beansprucht Posten des Finanzministers

Wenn der trotzdem behauptet, dass es jetzt nicht darum ginge, wer Vizekanzler wird, weil man noch nicht einmal einen Kanzler gefunden habe, ist das nur die halbe Wahrheit: Habeck wollte Kanzlerkandidat werden, jetzt beansprucht er den Posten des Finanzministers, der aktuell mit dem des Vizekanzlers verknüpft ist. Lindner hatte sich proaktiv weit vor der Wahl für diesen Posten angeboten, als, wie wir heute wissen, Spitzenkandidat der viertgrößten Fraktion im Bundestag. Auch ein interessantes Duell.

Nichts gegen selbstbewusste Politiker und Parteien, die an die eigene Gestaltungskraft glauben, neue Frauen und Männer braucht das Land. Nur sollten sich Grüne und FDP hüten, sich größer zu machen, als sie sind. Wer von den künftigen Koalitionspartnern, also von Union und SPD, Respekt erwartet, darf nicht den Eindruck erwecken, dass es auf die beiden großen Parteien nicht mehr ankommt.

Volksparteien sollten ernst genommen werden

Dass Olaf Scholz alles akzeptieren muss, was man ihm nach den grün-gelben Gesprächen diktiert, weil es sonst der verzweifelte Armin Laschet tut. Jeweils 25 Prozent Wählerinnen und Wähler mögen aus historischer Sicht für eine der beiden (ehemaligen) Volksparteien wenig sein – spielen sollte man mit ihnen trotzdem nicht. Dafür ist die Lage zu ernst.

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