Meinung
Leitartikel

Das Coronavirus und die geteilte Stadt

| Lesedauer: 3 Minuten
Christoph Rybarczyk
Christoph Rybarczyk ist Chefautor des Hamburger Abendblatts.

Christoph Rybarczyk ist Chefautor des Hamburger Abendblatts.

Foto: Marcelo Hernandez

Höchste Zeit, dass Hamburg ärmeren Wohnquartieren bei der Corona-Bewältigung hilft. Dafür gibt es gute Ideen – und Widerstände.

Der schlimmste, weil wahrhaftigste Satz der Corona-Pandemie lautet: Es liegt an uns selbst. Man mag die Aussage für eine Binsenweisheit halten, dass unser Verhalten, dazu beitragen kann, die Ausbreitung des Coronavirus zu verschlimmern oder abzumildern. Ihre vielschichtige Wahrheit jedoch bleibt. Und diese Wahrheit ist unbequem.

Unbequem, weil sie Fehler offenlegt, die im Politischen zum Schwarze-Peter-Spiel führen und im menschlichen Miteinander zur Stigmatisierung.

Unbequem, weil sie zeigt, dass sich auch nach mehr als einem Jahr mal scharfer, mal locker gemachter Maßnahmen und sensationeller wissenschaftlicher wie medizinischer Entwicklungen beim Impfen im Kern zu wenig geändert hat. Außer in der Zeit, die vergangen ist.

Der Corona-Lockdown und das Gefühl der Genervtheit

Die quälende Dauer und das Auf und Ab der Zahlen und ihrer Subtexte sorgen für ein ubiquitäres Gefühl der Genervtheit. Je einschnürender die Pandemie uns an der Kehle sitzt, desto lauter wollen wir schreien. Das Aufjaulen der jungen Leute liegt uns in den Ohren. Sie mögen nicht mehr.

Abstand halten, Hygieneregeln, Masken korrekt aufsetzen, Kontakteinschränkungen – keine Generation hält das lange aus. So sehr gerade in Hamburgs sozial schwachen Vierteln Schulkinder verängstigt sind, weil sie etwa Armutserfahrung, Flucht-Leid oder Abgehängtsein erfahren haben, so laut brüllen Heranwachsende in Park-Feiern und bei illegalen Treffen ihren Frust hinaus. Party statt Pandemie.

Vom Jenischpark bis Wilhelmsburg: Party statt Pandemie?

Zwischen dem Osdorfer Born und dem Strand in Blankenese oder dem Jenischpark mögen nur wenige Kilometer liegen. Es eint die Jüngeren hier wie dort die unbändige Lust, sich zu treffen, die Regeln zu brechen, sich nicht unterkriegen zu lassen, wenn diese Formulierung hier taugen sollte. Gleichsam trennen sie Welten. Wer sich in die eigene Wohnung oder das Haus zurückziehen kann, macht andere Pandemieerfahrungen als Familien, die mit mehreren Generationen beengt zusammenleben. Die Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen werden als viel harscher empfunden.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Es liegt an uns selbst: Ist diese Botschaft bei allen angekommen? Wohl kaum. Die „krasse Corona-Müdigkeit“, wie eine Mitarbeiterin der Poliklinik auf der Veddel sagte, legt schonungslos die Paralleluniversen dar, die durch die Pandemie erst bedrohlich viral gingen. Da ist die große, breite Mitte der Gesellschaft, die die meisten Regeln zähneknirschend akzeptiert und sich der in Verruf geratenen Tugend der Disziplin erinnert.

Wie ein Linken-Vorschlag bei Rot-Grün ankam...

Parallel dazu lebt eine kleine Schar der Corona-Leugner, denen kaum zu helfen ist und die die Kommunikationskanäle der offenen Demokratie verstopfen und in ihrem Sinne umleiten wollen.

In einem anderen Soziotop wiederum leben Menschen, die zum Teil nicht anders können, zum Teil nicht anders wollen. Einige migrantische „Communities“, im Hamburger Süden oder im Osten, verweigern jeden Kontakt. Anderen fehlt schlicht das sprachliche Instrumentarium, an der „Mainstream-Debatte“ um die richtigen Verhaltensweisen in der Pandemie teilzunehmen.

Fast schon grotesk erscheint, wenn sinnvolle Ideen wie die des Linken-Politikers Deniz Celik aus dem Dezember nicht aufgegriffen werden. Mit ersten Zahlen untermauert, hatte er den Senat gedrängt, den Zusammenhang von Infektionen und ärmeren Stadtteilen in den Blick zu nehmen. Mehr Testen, Infektionsketten unterbrechen, FFP2-Masken verteilen, Gesundheitslotsen mit zielgerichteten Sprachkompetenzen losschicken – fast genau seine Vorschläge wurden jetzt von SPD und Grünen in der Bürgerschaft beantragt. Dass überhaupt mal Mikrodaten aus den Stadtteilen miteinander verglichen und Maßnahmen ergriffen werden sollen (sollen!) – es grenzt an ein Corona-Wunder.

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