Nachdem ich in der vergangenen Kolumne über das Ausmaß von Hassnachrichten und Hetze in den sozialen Netzwerken geschrieben hatte, meldete sich ein netter Leser bei mir. Er sei fünffacher Großvater, nutze die „asozialen“ Medien nicht und frage sich, warum andere es ihm nicht gleichtäten. „Wäre eine Verweigerung dieser Kommunikationswege wirklich so absurd?“, fragte er.
Mit diesem Thema habe ich mich Ende des vergangenen Jahres intensiv beschäftigt, als ich beschlossen hatte, mir eine Auszeit von Instagram zu nehmen. Die Plattform hatte mich schon lange genervt. Aus vielerlei Gründen.
Warum Instagram mich nervt
Was ursprünglich dazu gedacht war, schöne Erinnerungen in Form von Fotos mit anderen zu teilen, hat sich zu einer inszenierten Scheinwelt entwickelt. Jeder kann sich so darstellen, wie er gesehen werden möchte – nicht wie er wirklich ist. Zu häufig geht es darum, andere zu beeindrucken und ihre Anerkennung zu erhalten. Die Bilder, die bei Instagram veröffentlicht werden, entstehen selten aus der Situation heraus. Sie sind keine Schnappschüsse, die zufällig in glücklichen Momenten aufgenommen werden.
Menschen reisen extra zum Eiffelturm, um sich vor ihm für Instagram in Szene zu setzen, und nicht mit der Absicht, Paris zu entdecken und ihren Horizont zu erweitern. Die Leute greifen zum Handy, fotografieren und filmen, wenn sie gerade etwas Tolles erleben. Nicht wenn sie frustriert zu Hause auf der Couch sitzen.
Dalai Lama und Pamela Reif
Instagram vermittelt ein Bild durch die rosarote Brille, alles scheint immer super zu sein. Und wenn man nicht gerade so ausgeglichen wie Buddha oder der Dalai Lama ist, vergleicht man sich mit Menschen, die man meistens noch nicht einmal persönlich kennt. Warum sehe ich nicht so durchtrainiert aus wie Pamela Reif? Wieso läuft mein Freund mit mir nicht händchenhaltend über ein Sonnenblumenfeld? Und sollte ich vielleicht mein gekochtes Abendessen auch wie in einer Sterneküche anrichten?
Instagram ist der perfekte Nährboden für Selbstzweifel. Man vergleicht, bewertet und verurteilt. Das passiert auch in der Offline-Welt, doch die sozialen Netzwerke verstärken dieses selbstzerstörerische Verhalten. Sie machen nicht glücklich.
Diese App macht abhängig
Was mich aber am allermeisten an Instagram gestört hat und letztendlich zu meiner mehrwöchigen Pause führte, war die Erkenntnis, wie viel kostbare Zeit die App auffrisst und wie abhängig sie mich macht. Das war mir schon lange bewusst – und trotzdem konnte ich nicht aufhören. Wenn ich am verabredeten Treffpunkt auf eine Freundin gewartet habe, verbrachte ich die Zwischenzeit bei Instagram. Selbst in den 30 Sekunden, die ich von der U-Bahn bis zur Redaktion benötige, scrollte ich mich durch die Bilder von Freunden und Fremden. Serien schaute ich nur mit halber Aufmerksamkeit, weil ich nebenbei auf meinem Handy herumspielte.
Während des Arbeitens gönnte ich mir kleine „Entspannungspausen“ und öffnete absurderweise zum „Runterkommen“ Instagram. Auch wenn ich selbst kaum Fotos postete, beschäftigte ich mich ständig mit dem Leben der anderen – und verpasste mein eigenes. Damit musste endlich Schluss sein.
Ich entschied mich gegen einen kalten Entzug und nutzte Instagram zunächst weiterhin an Wochentagen, die den Buchstaben „i“ enthalten – dienstags, mittwochs, freitags. Zudem erlaubte ich mir, Facebook zu nutzen, quasi als Nikotinpflaster. Dort werden wenigstens ab und zu Nachrichten und nicht nur mit fünf Filtern aufgepimpte Bilder verbreitet. Nach einer Woche ließ der automatische Reflex, die Instagram-App öffnen zu wollen, nach. Ich fühlte mich freier, konnte mich besser konzentrieren, und nahm meine Umwelt wieder wahr.
Nach acht Wochen wurde ich rückfällig
Mein Fehler war jedoch: Ich löschte die App nicht von meinem Handy, sondern bewahrte sie auf – wie eine Notfallpackung Zigaretten in der Schublade. Nach gut acht Wochen Abstinenz wurde ich rückfällig. Erst kontrollierte ich meinen Konsum, dann scrollte ich wie früher wahllos durch Instagram.
Ich glaube, soziale Netzwerke können eine Bereicherung sein. Sie können inspirieren, motivieren und verbinden – wenn man den richtigen Menschen folgt, für deren Inhalt es sich lohnt, Zeit online zu verbringen. Nach dem Leserbrief habe ich mich dennoch erst mal für den harten Schnitt entschieden. Seit einer Woche bin ich instagramfrei. Und stolz drauf.
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