„Uni Hamburg – gab es eine Wette, wie ihr euch möglichst zügig um den Exzellenzstatus bringen wollt?“ So lautet ein treffender und leider gar nicht lustiger Kommentar auf Twitter zu einer Pressemitteilung der Universität über eine „Studie“ ihres Nanowissenschaftlers Roland Wiesendanger zum Ursprung des neuartigen Coronavirus.
Es ist bitter: Hunderte von Uni-Mitarbeitern hatten unter der Führung ihres Präsidenten Dieter Lenzen so hart dafür gearbeitet, dass ihre oft als mittelmäßige Massenuni geschmähte Hochschule 2019 in die erste akademische Liga aufstieg. Lenzen, einst mit 28 Jahren jüngster Hochschullehrer in Deutschland und später mit der Freien Universität Berlin im Exzellenzwettstreit erfolgreich, hat sich mit dem folgenden Sensationserfolg in Hamburg große Verdienste erworben.
Wuhan-"Studie": Warum hat Präsident Lenzen sie nicht verhindert?
Umso verwunderlicher und bedauerlicher ist es, dass der 73-Jährige den durch die umstrittene Wuhan-„Studie“ entstandenen Imageschaden für seine Universität nicht verhindert hat. Der Fall ist mehr als eine Posse, er tangiert die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.
Der Autor der „Studie“, Roland Wiesendanger, ist Physikprofessor, ein angesehener Experte für Rastertunnelmikroskopie, die er einsetzt, um etwa winzige magnetische Strukturen bis auf die Ebene von Atomen sichtbar zu machen und zu nutzen – hilfreich vielleicht für neuartige Datenspeicher.
Durch Expertise in Virologie war Wiesendanger bisher zwar nicht aufgefallen. Trotzdem ist es grundsätzlich legitim, dass er als fachfremder Wissenschaftler den Corona-Ursprung der Pandemie „näher beleuchtet“. Es hätte wohl keine derartige Aufregung gegeben, wenn er nur einen Aufsatz geschrieben hätte mit Argumenten dafür, dass man seiner Ansicht nach die Theorie nicht ausschließen sollte, dass Sars-CoV-2 in einem Labor in Wuhan erzeugt wurde. Zwar erklärten Experten der Weltgesundheitsorganisation vor Kurzem, dieses Szenario sei „extrem unwahrscheinlich“, aber sie konnten nicht abschließend klären, wie das neuartige Coronavirus auf den Menschen übergegangen ist.
Ausbruch des Coronavirus: Auf Peer-Review-Verfahren verzichtet
Eine Bewertung seiner Darstellung durch unabhängige Gutachter (Peer-Review), wie sie vor der Veröffentlichung in anerkannten wissenschaftlichen Fachjournalen üblich ist, ließ Wiesendanger allerdings nicht durchführen. Er wertete wissenschaftliche Untersuchungen aus, aber auch Artikel aus Print- und Onlinemedien sowie YouTube-Videos, und er stützte sich nach eigenen Angaben auf die „Kommunikation mit internationalen Kolleginnen und Kollegen“. Dann lud er seine Arbeit bei ResearchGate hoch, einem Online-Netzwerk für Wissenschaftler.
Lesen Sie auch
- Wuhan-„Studie“: Wissenschaftler weist Kritik zurück
- Wuhan-"Studie": Kritik nun auch aus der Uni Hamburg selbst
- Nach Wuhan-„Studie“ massive Kritik an Uni und Präsident
Die berechtigte Kritik auch aus der eigenen Fakultät an Wiesendanger, dass die übliche etablierte Qualitätskontrolle fehlt, die bei einem derart brisanten Thema umso wichtiger gewesen wäre, ficht den Forscher nicht an. Er gibt freimütig zu: „Dies ist ganz klar keine wissenschaftliche Fachpublikation.“ In der Pressemitteilung dazu irritiert die Exzellenzuniversität Hamburg mit dem Hinweis, die „Studie“ liefere „keine hochwissenschaftlichen Beweise, wohl aber zahlreiche und schwerwiegende Indizien“.
Steht die Uni nun verlässlich für wissenschaftliche Standards oder nicht?
Weil Wiesendanger selbst seine Schlussfolgerungen für „hochrelevant“ hält und „Millionen Menschen weltweit erreichen“ will, deklariert er seine Arbeit als „Studie“ und nutzt zur Verbreitung offizielle Kanäle der Uni, um damit ein Gütesiegel zu erlangen, „ausdrücklich motiviert“ durch Uni-Chef Dieter Lenzen. Der schweigt weiterhin. Immerhin kämpften andere Forschende um das Ansehen ihrer Hochschule.
„Uni Hamburg – gab es eine Wette, wie ihr euch zügig um den Exzellenzstatus bringen …“ Ach, lassen wir das.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung