Hamburg. So kann man mit den Menschen, die das Coronavirus am stärksten bedroht, nicht umgehen. Erst stellt die Politik den über 80 Jahre alten Hamburgerinnen und Hamburgern in Aussicht, dass sie bei den Impfungen mit die Ersten sein werden. Dann schreibt die Hansestadt Hamburg alle Betroffenen an und fordert sie auf, sich jetzt (!) Termine zu besorgen. Und natürlich greifen die meisten der 114.000 kontaktierten Menschen sofort zum Telefon, wählen 116 117 – um, wenn sie denn durchgekommen sind, zu erfahren, dass es viel, viel zu wenige Termine gibt.
Das ist ein, auch kommunikatives, Desaster – und verunsichert die über 80-Jährigen noch mehr, als sie es durch die Pandemie ohnehin schon sind. Nicht nur, dass sich für sie die Hoffnung auf eine Impfung und damit die Chance, endlich wieder Kinder und Enkel zu sehen, um mehrere Wochen verschiebt. Fast genauso schlimm ist die Aufregung, die mit dem ganzen Hin und Her verbunden ist. Älteren Menschen fällt es nicht so leicht wie jüngeren, sich einfach mal schnell online einen Termin zu suchen. Sie müssen im Zweifel genau planen, wie sie zum Impfzentrum kommen, wer sie fährt und wie man im Auto die Ansteckungsgefahr möglichst minimiert. Sie haben viele Fragen, aber große Schwierigkeiten, jemanden zu erreichen, der ihnen alle beantworten kann. Und sie verstehen nicht, warum man sie per offiziellem Schreiben bittet, nun wegen eines Termins vorstellig zu werden, obwohl es nach wie vor kaum Impfstoff gibt.
Prioritätsgruppe bis Mitte Februar geimpft? Unrealistisch.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärt in diesen Tagen immer wieder, dass der Start der Impfkampagne in Deutschland genauso verlaufe, wie er ihn vorhergesagt habe, dass es zum Anfang wenige Impfdosen gebe und man froh sein könne, dass die Wissenschaft überhaupt einen Weg aus der Pandemie gefunden habe. Das sind wir, die Bürgerinnen und Bürger, auch.
Aber warum tut die Bundesregierung dann so, als könnten die Menschen in der Prioritätsgruppe eins bis Mitte Februar geimpft werden? Warum schreibt Hamburg auf einen Schwung alle Menschen über 80 Jahren an und provoziert damit einen Ansturm auf die Nummer 116 117 und enttäuscht zehntausende „Kunden“? Viel besser wäre es doch gewesen, die Briefe nach und nach zu verschicken, in Gruppen verteilt über die nächsten Wochen. Mecklenburg-Vorpommern etwa ist, Überraschung!, nach dem Alphabet vorgegangen.
Konsequente Umsetzung von Maßnahmen
Dieses System mag ungerecht für alle klingen, die Weber oder Zacharias mit Nachnamen heißen, und wahrscheinlich gibt es auch irgendwelche rechtlichen Einwände dagegen – dafür aber ist es pragmatisch und effizient. Unser gemeinsamer Kampf gegen die Pandemie ist es im Moment leider nicht. Daran muss sich schnell etwas ändern. Alle Maßnahmen müssen klar kommuniziert und dann, das ist das Wichtigste, konsequent umgesetzt werden.
Wenn Menschen per Brief zur Impfung aufgefordert werden, muss diese umgehend möglich sein. Wenn die Kontakte in Schulen und Kitas wirklich reduziert werden sollen, darf es dort nur eine Notbetreuung geben. Und wenn in Landkreisen Verschärfungen abhängig von höheren Infektionswerten angekündigt werden, muss es diese im Fall des Falles auch geben.
Sonst sind wir Ostern noch im Lockdown – und die über 80-Jährigen immer noch nicht vollständig geimpft.
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