Meinung
Leitartikel

Der Lockdown light ist ein Erfolg

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Elisabeth Jessen
Elisabeth Jessen ist stellvertretende Leiterin im Hamburg-Ressort.

Elisabeth Jessen ist stellvertretende Leiterin im Hamburg-Ressort.

Foto: Andreas Laible / HA / Andreas Laible

Wo wäre das Infektionsgeschehen in Hamburg ohne die Einschränkungen? Jeder muss mitmachen.

Hamburg. Man hört es in diesen Tagen immer wieder – und keineswegs nur aus den Reihen der Zweifler: Dieser Wellenbrecher-Lockdown seit Anfang November habe nichts gebracht, heißt es da. Und dass sich immer noch so viele Menschen mit Corona infizierten. Dann könne man doch auch schnell wieder Lockerungen zulassen.

Und tatsächlich ist die Zahl der neu Infizierten deutschlandweit und auch in Hamburg immer noch erschreckend hoch – und das, obwohl Restaurants, Theater, Konzerthäuser oder Fitnessstudios inzwischen schon fast zwei Wochen geschlossen sind. Doch wo wären wir wohl, wenn die Politik diese Einschränkungen nicht verordnet hätte? Wären dann die Intensivstationen in den Kliniken schon jetzt wegen Überfüllung geschlossen? Müssten Ärzte auch hierzulande entscheiden, dass ein 85-Jähriger nicht mehr an die Beatmungsmaschine darf, weil ein 65-Jähriger bessere Überlebenschancen hat?

Intensivstationen: Corona-Patienten brauchen aufwendige Pflege

Der Bedarf an Intensivbetten steigt laut Experten immer mit einer Verzögerung von etwa zehn Tagen. Und die schwerstkranken Corona-Patienten benötigen dann nicht nur eine besonders aufwendige Pflege – sie bleiben auch lange auf der Station. Knapp gesagt: Sie blockieren die Betten!

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Wir müssen uns eines klarmachen: Die durch die Kontaktbeschränkungen verhinderten Ansteckungen tauchen in keiner Statistik auf – sie sind aber der heimliche Erfolg des Lockdowns light. Denn nach der wochenlangen exponentiellen Steigerung der Infektionszahlen fällt auf, dass die Zahlen jetzt möglicherweise ein „Plateau“ erreicht haben, wie auch Bürgermeister Peter Tschentscher am Freitag feststellte. Sie sind hoch, aber sie steigen nicht mehr so unkontrolliert weiter. Umso wichtiger ist jetzt das konsequente Einhalten der Kontaktbeschränkungen, die dafür sorgen, dass nicht mehr so viele Menschen zusammenkommen. Wer nicht ins Restaurant oder ins Konzert geht, macht sich nicht erst auf den Weg und reduziert damit die Gefahr, sich und andere anzustecken.

Verhinderte Infektionen tauchen in keiner Statistik auf

Noch haben viele Menschen die Hoffnung, dass die Beschränkungen Ende November vorbei sind, doch wie realistisch ist das? Wenige Wochen vor Weihnachten stellen wir uns die bange Frage, wie diese Feiertage wohl aussehen können. Wird es möglich sein, dass sich Familien treffen, um Heiligabend zusammen mit mehreren Generationen zu feiern? Mutmaßlich werden wir in diesem Jahr eher auf die Kernfamilie reduziert am Baum sitzen, viele sogar allein. Für große Familienfeiern, bei denen Teile aus der gesamten Republik anreisen, wird im Dezember noch nicht die Zeit sein. Bekanntlich gehörten solche Festlichkeiten in den vergangenen Monaten zu den Superspreader-Ereignissen.

Diese Pandemie bringt unzählige Menschen in existenzielle Not, die nur teilweise durch staatliche Hilfen aufgefangen werden kann. Und sie bringt uns alle in emotionale Nöte, weil wir Abstand halten müssen, obwohl wir uns in dieser dunklen Jahreszeit nach Nähe sehnen. Und trotzdem sollte auch dem schlichtesten Gemüt klar sein, dass derzeit jede Begegnung riskant sein kann.

Herdenimmunisierung ist eine schlechte Idee

Herdenimmunisierung, die im Frühjahr noch als Möglichkeit erschien, ist eine schlechte Idee. Schließlich berichten fast jede Woche neue Studien über die Spätfolgen dieser tückischen Viruserkrankung. Und diese Folgen treffen auch Menschen mit leichten Verläufen.

Mit der Aussicht auf Impfung im nächsten Jahr gibt es Hoffnung auf einen Ausweg aus der Krise. Bis dahin sollten wir uns den Appell des Bürgermeisters zu Herzen nehmen: Jeder müsse jeden Tag Verantwortung übernehmen. Hoffentlich nehmen noch mehr Menschen als bisher diese Worte ernst.

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