Hamburg. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin traurig und enttäuscht. Monatelang haben die allermeisten viel dafür getan, um ein erneutes Herunterfahren unseres Lebens zu verhindern.
Wir waren einig, dass es keinen weiteren Lockdown geben soll, wichtige Politiker haben ihn bis vor kurzem noch ausgeschlossen. Und jetzt? Jetzt sind wir genau dort, wo wir nicht wieder hinwollten. Gut, es ist nicht ganz so schlimm wie im Frühjahr, Schulen und Kitas bleiben geöffnet, die Geschäfte auch. Aber deprimierend ist es trotzdem.
Wieso sind wir an etwas gescheitert, was so leicht aussieht?
Wir dachten doch, dass wir wissen, wie man das Virus in Schach halten kann. Masken tragen, Abstand halten, Händewaschen, Lüften. Recht banale Verhaltensregeln, deren Einhaltung ausgereicht hätte, um halbwegs gut durch den Winter zu kommen. Andere, vor allem die Asiaten, schaffen das doch auch. Wieso sind wir an etwas gescheitert, was so leicht aussieht?
Das ist die Kernfrage, an die sich viele andere anschließen, die langsam aber sicher wütend machen: Warum feiern Menschen wider besseren Wissens heimlich Partys in Keller? Wie kann es sein, dass man jeden Tag jede Menge Leute trifft, die den Mund-Nasen-Schutz unter der Nase tragen? Und: Warum müssen jetzt die vielen, die sich freiwillig eingeschränkt und Kontakte reduziert haben, für die wenigen büßen, denen das alles offenbar egal war?
Leid tun mir besonders die Gastronomen und Kulturschaffenden, die Fitnessstudio-Betreiber und Freizeitunternehmen, die alles getan haben, um unter Corona-Bedingungen öffnen zu können, und von denen viele gerade wieder auf einem guten Weg waren. Ja, sie werden diesmal, bei Lockdown Nummer zwei, finanziell voraussichtlich besser entschädigt als im Frühjahr. Aber die Stigmatisierung bleibt, dieses Gefühl: Ihr habt es nicht hingekriegt, deshalb müsst ihr jetzt wieder schließen – wobei oft das Gegenteil richtig war und ist.
Der neue Lockdown bringt viel Ungerechtigkeit mit sich
Erst am Dienstag hat Kultursenator Carsten Brosda die Hamburgerinnen und Hamburger aufgefordert, weiter ins Theater, in die Oper und die Elbphilharmonie zu gehen, weil sie dort sicherer seien als an den meisten anderen Orten. Das stimmt, und deshalb bringt der neue Lockdown viel Ungerechtigkeit mit sich. Die Betroffenen in den genannten Bereichen sind es, die jetzt jene Solidarität brauchen, von denen in diesen Tagen gesprochen wird.
Wenn es stimmt, dass in jeder Krise eine Chance steckt, dann sollten wir den November dazu nutzen, in eine Lage zu kommen, dass uns die Politik nicht noch ein drittes Mal radikal in unseren Grundrechten einschränken muss. Wir müssen uns gemeinsam unsere Freiheit zurückerobern, den Kampf gegen die Pandemie können nur wir gewinnen, es kommt auf jeden einzelnen und jede einzelne an. Diesmal aber wirklich!
Und die Politik, die Regierungschefs in den Ländern, die Bundeskanzlerin? Sie haben es schwer angesichts dieser Naturkatastrophe, dass man es sich nicht zu leicht machen sollte, sie zu kritisieren. Welcher Staat tatsächlich am besten durch die Krise kommt, wird sich erst zeigen, wenn der Corona-Albtraum vorbei ist. Bis dahin sollten sich die Politiker vor allem darüber Gedanken machen, warum wir im 21. Jahrhundert immer noch mit Anwesenheitslisten in Restaurants und Zettelwirtschaft in den Ämtern gegen einen Virus kämpfen, obwohl es dafür ganz, ganz andere digitale Möglichkeiten gebe.
Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Wir sollten uns fragen, was in diesem Land falsch läuft, dass uns selbst in Pandemiezeichen der Datenschutz wichtiger als der Gesundheitsschutz ist. Ich zumindest kenne viele, die lieber freiwillig darauf verzichtet hätten als auf all das, was man uns jetzt wegnimmt.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung