Hamburg. Wenn Journalisten zu Aktivisten mutieren, wenn Haltung Unvoreingenommenheit ersetzt, ist Gefahr in Verzug.

Es ist ein kleines Buch, aber eines, das Aufsehen erregt: Auf 144 Seiten rechnet Birk Meinhardt, zweifacher Egon-Erwin-Kisch-Preisträger und 20 Jahre Reporter der „Süddeutschen Zeitung“, mit seinem Arbeitgeber im Besonderen und dem Journalismus im Allgemeinen ab. „Wie ich meine Zeitung verlor: Ein Jahrebuch“ sollte Pflichtlektüre für Kollegen sein – es ist mal zornig, dann tieftraurig, mal bitter, dann bitterböse. Das Buch ist nicht immer fair und mitunter selbstverliebt, aber viele Punkte treffen: „Das ist ja alles nur noch in eine Richtung gebürstet! Das ist ja ein Dauerzustand geworden: einer Haltung Ausdruck zu verleihen und nicht mehr der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit um die Teile zu reduzieren, die nicht zur Haltung passen, und dafür die Teile überzubetonen, die sich mit der Haltung decken.“

Das mag überzogen klingen, aber leider ist es eben nicht ganz verkehrt. Ein aktuelles Beispiel gefällig? Am 6. Juni 2020 demonstrierten rund 14.000 Hamburger gegen Rassismus, die meisten Medien reagierten freundlich bis begeistert, Verstöße gegen das Abstandsgebot spielten keine große Rolle; stattdessen ging es in den Folgetagen in vielen Medien um eine ganz andere Frage: die Polizeigewalt. Mehrere Demonstranten hatten den Beamten ein überhartes Eingreifen vorgeworfen. Praktischerweise zitierten und integrierten gleich mehrere Medien den Twitter-Tweet und Demofotos der „linken Aktivistin und Augenzeugin“ Emily L. Dass diese Aktivistin regelmäßig in Verfassungsschutzberichten auftaucht, erfuhren die Leser nicht.