Meinung
Kommentar

St. Paulis Projekt Jos Luhukay ist gescheitert

| Lesedauer: 4 Minuten
Carsten Harms
Carsten Harms ist Redakteur im Sportressort.

Carsten Harms ist Redakteur im Sportressort.

Foto: Marcelo Hernandez

Der FC St. Pauli muss Konsequenzen aus dem Misserfolg und Verhalten des Trainers ziehen. Timo Schultz hat eine Chance verdient.

„Jos ist ein Trainer mit Ecken und Kanten. Aber jeder Toptrainer ist auf seine Art eigenwillig, das ist bei ihm eben auch so.“ Das sagte Andreas Rettig vor knapp einem halben Jahr im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt über Jos Luhukay. Es war eine sehr wohlwollende Beschreibung des Trainers, an dessen Verpflichtung Rettig als Geschäftsführer und Interims-Sportchef des FC St. Pauli im April 2019 maßgeblich beteiligt war, ehe er aus privaten Gründen im vergangenen September den Verein verließ.

Luhukay dagegen ist noch da, aber das, was Rettig als „mit Ecken und Kanten“ und „eigenwillig“ beschreibt, hat in den vergangenen Tagen und Wochen Formen angenommen, die so nicht mehr tragbar sind. Wenn ein Trainer öffentlich seinem gesamten Spielerpersonal die Qualität abspricht, ein Anrecht auf einen Startelfplatz zu haben, ist das längst nicht mehr motivierend, sondern einfach nur destruktiv.

Dass dieser Trainer wenig später einen der potenziell besten Stürmer der Liga, namentlich Henk Veerman, in der Halbzeitpause auf dem Weg in die Kabine so laut verbal attackiert, dass es nahezu alle 200 Personen, die sich im Stadion aufhielten, mitbekommen mussten, ist nicht nur ungewöhnlich, sondern im Grunde unerträglich und in keiner Weise zielführend.

Luhukay stieß fast jeden vor den Kopf

Dass dann dieser Trainer auch noch zwei Tage später, also mit der Chance, sein Verhalten zu reflektieren, dieses Handeln damit verteidigt, dass er nun einmal so sei, wie er ist, nämlich offen, direkt und ehrlich, und sich eben nicht verbiege, zeugt keineswegs von gesundem Selbstbewusstsein. Es belegt die Unfähigkeit, ein möglicherweise von Emotionen befeuertes Fehlverhalten zu hinterfragen. Es ist einfach nur respektlos, sich in dieser Weise Mitmenschen gegenüber zu verhalten. Und es ist schon gar nicht „sanktpaulianisch“, um einmal eine Lieblingsvokabel von Präsident Oke Göttlich, dessen absoluter Wunschkan­didat Luhukay war, zu verwenden.

In seinen gut 14 Monaten am Millerntor hat es Luhukay geschafft, fast schon jeden Führungsspieler durch öffentliche Aussagen und Personalentscheidungen vor den Kopf zu stoßen. Auf diese Weise wurden potenzielle Leistungsträger, die ihren Wert längst bewiesen haben, angeknackst oder sogar gebrochen. So ist es einfach nur noch traurig zu sehen, wie ein Marvin Knoll, der in Regensburg und im ersten Halbjahr bei St. Pauli gezeigt hat, wie dominant er auf dem Feld wirken kann, heute nur noch ein Schatten seiner selbst ist.

Die Krönung folgte jetzt nach dem 0:4-Debakel in Hannover, als Luhukay die Medienvertreter sinngemäß aufforderte, gefälligst seine Spieler und nicht ihn zu kritisieren. Einen deutlicheren Beleg konnte der Trainer gar nicht dafür liefern, dass er sich von seiner Mannschaft längst verabschiedet hat.

Projekt Luhukay ist gescheitert

Dabei hatte er allein in den bisher 32 Ligaspielen 36 verschiedene Spieler einsetzen dürfen. Ein echtes Team ist bei diesem Ausprobierwahn bis heute nicht herausgekommen – im Gegenteil: Die Truppe spielt bedeutend schlechter als in der ersten Saisonphase.

Kurzum: Das Projekt Luhukay beim FC St. Pauli ist gescheitert. Auch wenn der Super-GAU des Abstiegs dem Verein wohl erspart bleibt, gibt es keine Basis mehr für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Vielmehr stellt die Person Luhukay und dessen Verhalten auch eine Belastung bei der Suche nach neuen Spielern dar, die echte Verstärkungen sind.

Jetzt ist die Zeit gekommen, dem deutlich formulierten Anspruch, nicht nur bei den Spielern, sondern auch im Trainerbereich hoffnungsvolle Talente in den Profibereich zu führen, Taten folgen zu lassen. Hier bietet sich Timo Schultz, der seit Jahren erfolgreich zunächst mit der U-17- und inzwischen mit der U-19-Mannschaft in der Junioren-Bundesliga arbeitet, geradezu an. Als langjähriger Spieler und Co-Trainer bei den Profis bringt er ein hohes Maß an Erfahrung und „Stallgeruch“ mit. Wenn er jetzt keine Chance bekommt, sein Können in der Zweiten Liga zu beweisen, wird er dem Werben anderer Clubs um ihn kaum noch einmal widerstehen wollen.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Meinung