Meinung
Leitartikel

Plastikmüll: Alltag im Wegwerfmodus

| Lesedauer: 3 Minuten
Birgitta Stauber

Birgitta Stauber

Foto: Reto Klar

Wenn die EU Plastik verbietet, greift sie in unseren Lebensstil ein. Das ist gut so.

Mittagspause in der Büroküche. Am Stehtisch versammeln sich die Kollegen, packen aus, was sie in umliegenden Bistros, Supermärkten und bei Fast-Food-Ketten gekauft haben: Salate und Sushi in Plastikschalen, Coffee-to-go-Becher, fertige Pasta, heiß und frisch in der isolierten Umverpackung. Sie mixen portionierte Soßen aus kleinen Beuteln dazu, zum Nachtisch gibt es eine fertig geschnittene Mischung aus Ananas und Melone, gelöffelt aus dem durchsichtigem Plastikbecher mit Deckel. Beim Einkauf am Abend landet die in Plastik verschweißte Biogurke im Korb, dazu überzuckerte Müslis in riesigen Kartonagen. Und wieder locken Kühltruhen mit Salaten, Suppen, Sandwiches zum Mitnehmen – immer umhüllt von stabilem Plastik, das Besteck zum Wegwerfen ist gleich dabei.

Ob Schulkinder, Büroleute oder Arbeiter: Das Leben mit der schnellen Verpackung passt so gut zum gehetzten Alltag. Es ist so einfach geworden, sich schnell und durchaus abwechslungsreich zu ernähren, ohne die heimische Küche allzu sehr in Unordnung zu bringen. Das fängt beim morgendlichen Kaffee mit der Kapsel an und hört beim vom Lieblingsrestaurant gelieferten Abendessen in isolierendem Styropor mit Alu auf. Wen jucken schon die Abfallberge im Innenhof, solange sie pünktlich von der Müllabfuhr abgeholt werden? Wenn es da nur nicht die Bilder von Müllteppichen im Pazifik gäbe. Von Walen, die sich an Plastik überfressen haben. Natürlich landet die Plastiktüte von der Rolle im Obstregal nicht zwangsläufig im Pazifik, sondern eher in der örtlichen Müllverbrennungsanlage. Aber in den Weltmeeren ballt sich der global sorglose Umgang mit Einwegprodukten aus Plastik zu einem ernsthaften Problem für Mensch, Tier und Umwelt. Abgesehen davon schwappt der Müll längst auch direkt vor unsere Haustür, im Mittelmeer und in der Nordsee.

All die Pet-Flaschen, Zahnbürsten oder Einmal-Rasierer werden Jahrhunderte brauchen, um sich zu zersetzen. Bis dahin kommt der Müll in Kleinstpartikeln zu uns zurück. Wir essen ihn regelrecht auf – zusammen mit den Jakobsmuscheln, Makrelen und Heringen, die auf unseren Tellern landen. Dass nun die Europäische Union – übrigens der zweitgrößte Plastikproduzent der Welt – versucht, diesen sorglosen Umgang ein wenig zu lenken, ist ein erster wichtiger Schritt im Kampf gegen die globalen Müllteppiche.

Wir Deutschen haben allen Grund, das Thema ernst zu nehmen: Wir produzieren mehr als 220 Kilogramm Plastikmüll pro Kopf im Jahr. Das ist Spitze in Europa – und ein Ausdruck für einen Lebensstil, den jeder Einzelne für sich überdenken sollte. Warum nehmen wir uns nicht die Italiener zum Vorbild, die ihren Kaffee im Stehen an der Bar aus Porzellantassen (günstig) trinken, statt ihn – umhüllt von problematischen Verbundstoffen – (teuer) auf der Straße mit uns herumzuschleppen? Warum kaufen wir geschälte Bananen in Plastik und Styropor verschweißt – eine Frucht mit einer hervorragenden natürlichen Verpackung? Warum eigentlich müssen wir immer und überall irgendetwas Fertiges aus der Hand essen, statt Lebensmittel bewusst einzukaufen und zuzubereiten?

Die Antwort ist wohl: Es ist bequemer so und einfacher. Ganz böse gesagt: Wir schaffen es so schneller wieder vor den Bildschirm, wo dank Netflix und Co. gleich ganze Staffeln statt Serien-Episoden locken.

Unser Lebensstil ist nicht nur umweltschädlich, sondern auch oberflächlich und teuer. Die Europäische Union zwingt uns nun, mit weniger klarzukommen. Im besten Fall verändert das unser Bewusstsein. Es gab schon schlechtere Ziele.

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