Meinung
Gastbeitrag

Olaf Scholz und die Unschuldigen

| Lesedauer: 6 Minuten
Werner Marnette

Foto: Magunia / HA

Der frühere schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Werner Marnette macht den heutigen Finanzminister für das HSH-Desaster mitverantwortlich.

Zwischen dem 24. Februar 2009 und dem 28. Februar 2018 wurden durch die HSH Nordbank mehr als 13 Milliarden Euro Steuergelder vernichtet – oder fast 4 Millionen Euro pro Tag. Dies wäre vermeidbar gewesen, wenn Politiker ihrer Kontrollpflicht nachgekommen wären. Doch Olaf Scholz, seit 2011 mitverantwortlich für die HSH, stellte am 28. Fe­bruar fest: „Wir sehen keine Fehler bei uns.“

Die deutsche Bankenaufsicht hatte im Februar 2009 der HSH eine Frist gesetzt und mit der Schließung gedroht. Die Regierungschefs Carstensen und von Beust verkündeten, dass die HSH mit 13 Milliarden Euro gerettet werden müsse. Das Rettungspaket sei alternativlos.

Neun Jahr später ist der Schlusspunkt gesetzt. Die EU hatte 2015, nachdem die Bank in dem Jahr erneut vor dem Konkurs stand, den Verkauf oder die Abwicklung angeordnet. Am 28. Fe­bruar traten Daniel Günther und Olaf Scholz in Kiel vor die Öffentlichkeit. „Es ist ein großer Schritt zu einem Schlussstrich unter den Ausflug unserer Länder in die Geschäftsbankenwelt“, orakelte Günther. Es folgten große Worte über das Bemühen, Ländervermögen zu schonen und Risiken aus der Gewährträgerhaftung zu vermeiden. Behauptungen, die leicht zu widerlegen wären.

Die Ministerpräsidenten erklärten, dass sie die HSH als Gesamtbank verkauft und einen „unerwartet guten Kaufpreis“ von etwa einer Milliarde Euro erzielt hätten. „Es ist ein Schlussstrich unter falsche Entwicklungen in den Jahren 2003 bis 2008“, sagte Scholz. Die tatsächlichen Gesamtbelastungen für die Bürger verschwieg er. Mehr als den Spruch „Das Gespenst ist da, aber es ist eingesperrt“ hatte er für die Bürger nicht übrig.

Faktisch aber ist die Bank nicht verkäuflich, und für sie konnte auch kein positiver Preis erzielt werden. Sie hat einen negativen Unternehmenswert in Milliardenhöhe. Der „Kaufpreis“ in Höhe von einer Milliarde Euro dürfte wegen des „Kaufpreisanpassungsmechanismus“ rein fiktiv sein. Tatsächlich zahlen die Länder den „Käufern“ einen Betrag in Höhe der Garantiesumme von zehn Milliarden Euro und überlassen ihnen eine Bank, die von den faulsten Krediten zulasten der Bürger entmistet ist. Auf kritische Fragen der Presse zum Verbrauch der 10-Milliarden-Garantie reagierte Olaf Scholz gereizt. „Das haben Sie falsch recherchiert“, wies er einen Pressevertreter zurecht.

Die Gereiztheit des Ersten Bürgermeisters war verständlich, denn er fühlte sich ertappt. Olaf Scholz wusste seit Jahren, dass das Rettungspaket scheitern und die 10-Milliarden-Garantie aufgezehrt würde. Auch unter ihm durfte die HSH ihr Spiel zulasten der Bürger weitertreiben und Gewinne ausweisen, wo keine waren. Spätestens 2015 hätte das perfide Spiel der Bank beendet werden müssen, weil sich seit 2009 die Verluste auf über fünf Milliarden Euro summiert hatten und der Konkurs nicht mehr abwendbar war.

Da retteten Olaf Scholz und Torsten Albig die Bank erneut, ließen sich eine Kreditermächtigung in Höhe von 16,2 Milliarden Euro durch die Parlamente genehmigen, erließen den Reedern über 800 Millionen Euro Schulden und luden faule Schiffskredite in Höhe von sechs Milliarden Euro auf die Bürger ab. Die EU reagierte richtig mit dem Beschluss, die Bank zum 28. Februar 2018 zu verkaufen oder abzuwickeln, aber zu spät. Zweifel, dass es sich um einen Verkauf der HSH handelt, sind angebracht. Es dürfte ein Deal mit den Hedgefonds Cerberus und J.C. Flowers sein, mit dem diese und auch der HSH-Vorstand ihre eigenen und die Interessen spezieller Bankkunden zulasten der Bürger durchsetzen konnten. Der „Verkauf“ wäre dann eine privatwirtschaftliche Abwicklung durch die Hedgefonds, wodurch gegenüber einer gesetzlich geregelten Abwicklung ein Höchstmaß an Intransparenz gesichert werden würde. Für Cerberus und J.C. Flowers wird dies dennoch ein Milliardengeschäft werden, vor allem dann, wenn es Nebenabsprachen mit dem HSH-Vorstand und etwa den Reedern gegeben haben sollte.

Die enge Verflechtung von Politik, Wirtschaft und HSH Nordbank dürfte der Grund für das Milliarden-Desaster sein. Es hatte sich ein Schweigekartell gebildet, das nicht an Aufklärung inter­essiert ist. Der Bankenexperte Prof. Martin Hellwig fand dafür klare Worte: „Eine öffentliche Diskussion haben die Verantwortlichen in der Bank und den Regierungen erfolgreich unterbunden, durch Vertuschen, Beschönigen und Verweigern von Antworten. Die Stützungsbeschlüsse von 2009, 2013 und 2015/2016 beruhten auf erkennbar fehlerhaften Prognosen. (…) Verantwortlichkeit in der Demokratie sieht anders aus.“

Wie andere vor ihm kann sich Olaf Scholz vor dem Gesetz sicher fühlen. Nach Auffassung der Hamburger Staatsanwaltschaft sind Regierungsmitglieder nämlich „keine Entscheidungsträger, sondern haben diese nur vorbereitet“. Anders wird die Rolle der Abgeordneten gesehen. Entscheiden sie aufgrund fehlender Informationen falsch, machen sie sich strafbar. Denn sie hätten das Recht gehabt, „vom Senat ergänzend Auskunft zu verlangen“. Dies allerdings haben die Regierungen und die HSH seit 2009 wiederholt abgeblockt und mit dem Bankgeheimnis begründet.

Es wird spannend sein zu sehen, wie sich jetzt die beiden Parlamente verhalten werden. Wie bereits 2009 liegen ihnen Entscheidungsunterlagen vor, die auf wichtige Fragen keine Antwort geben und in denen unbelegt behauptet wird, eine geordnete Abwicklung wäre der schlechtere Weg gewesen.

Der Gesamtschaden durch die HSH Nordbank dürfte am Ende bei weit über 20 Milliarden Euro liegen, aber erst in Jahren spürbar werden, weil es Politikern wie Olaf Scholz gelingt, die Belastungen in Zweckgesellschaften zu verstecken.

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