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G20: Wie Geschichte umgeschrieben wird

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Matthias Iken

Nach dem G-20-Gipfel wird über Polizeigewalt diskutiert – die wahren Krawallbrüder spielen keine Rolle mehr.

In dieser Woche bekam ich eine wichtige Meldung einer großen Nachrichtenseite auf mein Telefon geschickt: „Polizei soll rechtswidrig Granatpistole eingesetzt haben“, hieß es dort. Das klang nach einem Kracher: Granatpistolen beim G 20! Da schwingt ein Hauch Gazastreifen mit, Gewaltexzess. Unrechtsstaat. Staatsmachtmissbrauch.

Ständig präsentieren uns Nachrichtenportale neue Skandale und Skandälchen rund um den G-20-Gipfel. Minutiös wird jede Polizeibewegung aufgearbeitet, jeder Einsatzbefehl diskutiert, jede Pa­trone analysiert und jeder Fehler debattiert. Das zeichnet eine Demokratie aus: Sie ist selbstkritisch bis zur Schmerzgrenze, der Staat und seine Institutionen suchen den Fehler stets auch bei sich selbst. Die törichte Aussage des Bürgermeisters, es habe keine Polizeigewalt gegeben, muss längst als widerlegt gelten.

Aber kann das ernsthaft überraschen? Dass einigen der 30.000 Polizisten im Dauereinsatz gegen entfesselte Autonome die Sicherungen durchknallen, musste erwartet werden. Und dass es schlimme Fehler gab, wie die erniedrigende Kontrolle eines Busses mit minderjährigen „Falken“-Demonstranten, steht außer Frage. Aber langsam bekommt die obsessive Aufarbeitung Schlagseite. Mit jeder Woche, die die Gewaltexzesse von Hamburg länger zurückliegen, verschieben sich die Maßstäbe. Auch kleinste Fehler der Polizei werden ausgeleuchtet. Der Gewaltrausch mancher De­mons­tran­ten aber verschwimmt im Nebel wie die katastrophalen Fehler der Sympathisantenszene. Wenn das so weitergeht, werden bald die Ersten glauben, Polizisten hätten die Elbchaussee verwüstet, Autos angezündet und einen Linienbus angegriffen und österreichische Spezialeinheiten das Schanzenviertel in Schutt und Asche gelegt.

Medien rücken die Polizei in den Fokus, die Extremisten hingegen bleiben so konturlos wie ihre Uniform in der Nacht: Schwarze Masse, schwarze Klamotten, und kaum einer schaut dahinter. Weil weder die Rote Flora noch spanische Anarchisten Kleine Anfragen beantworten, vor Sonderausschüssen erscheinen oder Presseanfragen beantworten, bleiben sie, abgesehen von sehenswerten Ausnahmen wie der Recherche der NDR-„Panorama“-Reporter, unbehelligt. Die staatlichen Stellen hingegen werden mit Anfragen überzogen.

Besonders tut sich dabei die Linkspartei hervor, die bei den G-20-Protesten im Juli eine – freundlich formuliert – grenzwertige bis grenzgängerische Rolle spielte. Wenige Stunden nach der Krawallnacht in der Schanze demonstrierten Politiker der Partei einträchtig mit dem Schwarzen Block.

Nun setzt sich die Linke wieder an die Spitze der Bewegung und gibt die Super-Aufklärerin – allerdings nur beim Gegner: Gleich 26 Kleine Anfragen feuerte die innenpolitische Sprecherin Christiane Schneider seit dem Gipfel an den Senat ab, um Fehler der Polizei zu enthüllen. Viele ihrer Anfragen müssen schon durchnummeriert werden wie etwa „Einsatz von Gummigeschossen (II)“ oder „Einsatz von Reizstoffen durch die Polizei (III)“. Natürlich sind Anfragen ihr gutes politisches Recht – und Teil eines medialen Spiels. Und doch mutet es seltsam an, dass noch die skurrilsten Anfragen in manchen Gazetten als Beleg für einen Skandal taugen oder seltsame Vorwürfe der Linkspartei mediale Resonanz finden. Im Deutschlandfunk erklärte Christiane Schneider am 25. Oktober gar, der Sonderausschuss zum G-20-Gipfel müsse den „gesellschaftlichen Frieden“ wiederherstellen.

Ein großes Wort, das bizarr klingt angesichts eines Richterspruchs vom selben Tage: Da bekam ein Hamburger Linken-Politiker und Mitarbeiter der Fraktion im Bezirk Mitte 18 Monate Haft aufgebrummt. Er soll einem Polizisten aus wenigen Metern Entfernung eine brennende Bengalo-Fackel gegen den Oberkörper geschleudert haben. Das mediale Interesse an diesem Prozess blieb überschaubar.

Selbstkritik sucht man bei vielen Linken vergeblich. Manche lehnen sich gar zufrieden zurück. Die Schuld an der Eskalation im Juli hat die Öffentlichkeit längst der Polizei untergejubelt.

Mit einigen Hundert Staatsfeinden kann das Land gut leben, mit einer Staatsverachtung bis in die Mitte der Gesellschaft hinein nicht mehr lange.

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