Für alle, die sich vielleicht wundern, dass an dieser Stelle ein Pianist über Sport schreibt, genauer gesagt über Tischtennis, sei als Kompetenzhinweis vorausgeschickt: Im April machte die Mannschaft der Spielgemeinschaft Grün-Weiß-Rot Nienstedten/TuS Osdorf in der 1. Landesliga den Meistertitel perfekt und schaffte den direkten Wiederaufstieg in Hamburgs höchste Spielklasse, die Verbandsliga. Ich war dabei und habe für meine Verhältnisse, ich bin viel auf Tour, sogar ziemlich oft an der Platte gestanden. Meine Frau ist zwar nicht immer glücklich darüber – wir spielen freitagabends –, aber für mich ist ein Match wie eine Frischzellenkur. Der perfekte Ausgleich zum Stillsitzen am Klavier.
Natürlich hat unser Tischtennis, auch wenn es mit viel Herzblut und durchaus ansprechender Technik vorgetragen wird, nicht viel mit dem Niveau zu tun, mit dem derzeit in Düsseldorf bei der Weltmeisterschaft die Besten der Welt gegen die Giganten aus China antreten. So muss man das sehen, denn im Reich der Mitte fangen schon die Sechsjährigen an, professionell Tischtennis zu spielen. Und weil es viele von ihnen gibt, ist ihre Vormachtstellung nur durch Ausnahmetalente wie beispielsweise unseren Timo Boll zu knacken. Inzwischen ist der ehemals beste Spieler der Welt zwar mit 36 Jahren im besten „Rentenalter“, aber als Weltranglistenachter weiter auch international eine imponierende Größe. Ihn mit der momentanen Nummer eins, dem chinesischen Superstar Ma Long, in einem Doppel zu sehen, ist ein Hochgenuss – auch wenn die beiden sich leider schon den Topfavoriten Xu Xin/Fan Zhendong geschlagen geben mussten. Mit Dimitrij Ovtcharov steht zudem der derzeit beste Europäer im deutschen Team, und unsere besten Damen gehören ebenfalls zur erweiterten Weltspitze, auch wenn die Chinesinnen seit 24 Jahren die Weltmeisterin stellen.
Schade nur, dass dieser faszinierende Sport so wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommt. Zwar ist die Halle in Düsseldorf wohl ausverkauft, und das erste Spiel von Boll sahen 3000 Zuschauer, doch im TV gilt Tischtennis als Randsportart und wird, wenn nicht gerade Olympische Spiele sind oder wie jetzt eine WM ausgetragen wird, entsprechend stiefmütterlich behandelt. Dabei ist Tischtennis die viertgrößte Sportart in Deutschland – gemessen an den Mitgliedern in Vereinen. Ein Volkssport also. Wenigstens kann man über Livestream-Dienste das ein oder andere WM-Spiel sehen, und am Sonntagnachmittag überträgt das Erste sogar live.
Ich kann jedenfalls Eltern nur raten, ihre Kinder Tischtennis spielen zu lassen. Sie lernen so viel. Feinmotorik, Antizipation, Stressabbau: All das wird geübt, macht stark auch im Alltag. Und was mich betrifft, ich habe mit sechs Jahren angefangen, der Sport hilft mir bei meinen Bühnenauftritten. Ähnlich wie beim Klavierspielen, wo sich schon nach 20 Minuten nachweisbar neue Synapsen in Gehirn bilden, kann man auch bei Tischtennisspielern positive neuronale Verbindungen messen. Ich behaupte, wer sich an der Platte mit Gegnern misst, wird als Mensch wacher, aufnahmefähiger und reaktionsschneller. Es zu wagen, dafür ist man nie zu alt. Außerdem hat man als Anfänger schnell Erfolge, und es ist ein unglaublich individueller Mannschaftssport.
Das ist kein Widerspruch. Jeder Spieler entwickelt eigene Techniken, eigene Strategien. Das fängt bei der Griffhaltung an. Ich beispielsweise spiele mit dem Shakehand-Griff, umfasse den Stiel des Schlägers mit der ganzen Hand. Das bringt Vorteile beim Rückschlag. Andere Spieler sind gefürchtete Aufschläger. Früher bevorzugten die Asiaten den Penholdergriff. Sie fassten den Schläger wie einen Stift. Doch auch sie sind fast alle zum Shakehand gewechselt. Auch die Beläge, ihre Struktur, sind eine Wissenschaft für sich. All das hat den Sport extrem schnell gemacht, weshalb derzeit schwerere Bälle im Einsatz sind, um wieder längere Ballwechsel zu realisieren. Das hört sich kompliziert an, ist aber einfach: Schläger kaufen, in Verein eintreten, loslegen.
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