Meinung
Gastbeitrag

Gut informierte Menschen wählen nicht Trump

| Lesedauer: 4 Minuten
Helmut Dosch

Die Erfolge der Populisten zwingen auch uns Wissenschaftler zu unangenehmen Fragen: Was haben wir versäumt?

Was hatten wir alle nicht an Hoffnungen und Visionen für die Zukunft, als wir vor ein paar Jahren ins neue Jahrtausend eingetaucht sind. Eine künftige Welt, in der sich die Aufklärung weiter durchsetzt, die sich intelligent weiterentwickelt und auf kulturelle Werte und fundiertes Wissen aufbaut.

Wir Wissenschaftler waren noch bis vor Kurzem stolz darauf, dass wir dieser Entwicklung in die Neuzeit unseren Stempel aufgedrückt haben. Wir waren der Überzeugung, dass die Erkenntnisse und das Wissen, das wir Wissenschaftler rund um den Globus generiert haben, die Menschen klüger gemacht hat und fit für die Herausforderungen unserer Kinder und Enkel. Eine große Illusion, wie sich jetzt herausstellt. Wissen und Fakten sind bald Schnee von gestern. Die sozialen Medien produzieren evidente und verschleierte Unwahrheiten in einem betäubenden Ausmaß, sodass wir Gefahr laufen, dass das 21. Jahrhundert ein Zeitalter des Postfaktischen zu werden droht.

Postfaktisches hat einfachste Antworten auf schwierige Fragen und triviale Lösungen für komplexe Herausforderungen parat, und es schürt bewusst Angst vor Unbekanntem. Der Brexit, der sich über hanebüchene Lügen beim britischen Wahlvolk durchgesetzt hat, war 2016 der Höhepunkt dieses von den Populisten geschürten Massenwahns. Nun ist Herr Trump unangefochten auf Platz eins der neuen Fake-Welt. Aber jedem, der auch nur ein halbwegs funktionsfähiges Organ zwischen den Ohren hat, müsste klar sein, dass Nordkorea längst ein blühendes Land und eine wirtschaftliche und wissenschaftliche Großmacht wäre, wenn der narzisstische Baulöwe recht damit hätte, dass gesellschaftliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Abschottung („America first“) ein Erfolgskonzept ist.

Die Wissenschaft beobachtet dies zurzeit noch mit gelähmtem Entsetzen, weil sie gelernt hat, was Austausch über alle Grenzen hinweg bewirken kann. Und das beschränkt sich nicht auf die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in internationalen Kooperationen möglich wurden; es hat vielmehr allen eindrucksvoll gezeigt, dass Sprache, Hautfarbe, Herkunft, Religionszugehörigkeit nicht zählen, sondern das einzelne Individuum, und es hat den Beweis erbracht, dass Menschen aller Nationen friedlich kooperieren können, wenn sie ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Was kommt jetzt auf die Wissenschaft zu? Wir müssen uns unangenehmen Fragen stellen. Was haben wir eigentlich in der Vergangenheit versäumt? Es ist ja eine bittere Erkenntnis, dass der Brexit und der Herr Trump nicht herbeigeputscht wurden, sondern beide sich in demokratischen Wahlen durchgesetzt haben. Man kann davon ausgehen, dass die Bevölkerungsschichten, die hier wahlentscheidend waren, nicht mutige Menschen sind, sondern von Ängsten getrieben, von Ängsten vor Unbekanntem und vor der Zukunft.

Frustrierenderweise ist beides, der Vorstoß ins Unbekannte und die Gestaltung der Zukunft, das Kerngeschäft der Wissenschaft. Wir haben es also ganz offensichtlich versäumt, die Faszination und das Potenzial des Unentdeckten und die vielen Möglichkeiten, die in der Zukunft liegen, einem großen Teil der Bevölkerung zu vermitteln. Ein gut informierter Mensch wählt in der Regel nicht Trump. Wir Wissenschaftler müssen uns also vorwerfen lassen, dass auch wir in den vergangenen Jahrzehnten nicht genug für eine kritische, informierte Gesellschaft beigetragen haben.

Hier muss man viel mehr tun und auch unkonventionelle Wege gehen. Wir in Hamburg haben zum Beispiel das Format „Wissen vom Fass“ ersonnen: Wissenschaftler der Universität Hamburg und des Deutschen Elektronen-Synchrotrons Desy gehen in die Hamburger Bars und Kneipen und erläutern Jungen und Alten bei einem Glas Bier Neues und Faszinierendes aus der Wissenschaft. Ein überwältigender Erfolg, übrigens auch für die Kneipenbesitzer.

Desy unterstützt deshalb den „March for Science“, der am 22. April weltweit und auch in Hamburg stattfindet, um ein Zeichen für die Wissenschaft zu setzen. Das kann aber nur ein erstes Ausrufungszeichen sein. Es gibt in den nächsten Monaten und Jahren viel zu tun. Lasst es uns anpacken.

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