Der politische Zustand Europas ist derzeit mehr als bedenklich. Der Auszug Großbritanniens aus dem gemeinsamen Haus der Europäischen Union, die rechtspopulistische, wenn nicht nationalistische Neuorientierung in zahlreichen Staaten, der aggressive Kurs Russlands und womöglich noch ein Handelskrieg mit den USA erodieren das einstige Idyll einer „Insel der Seligen“ inmitten einer Welt der Konflikte.
Was sich Europa überhaupt nicht leisten kann, ist der Ausbruch eines von nationalistischem Hass befeuerten Krieges. Doch genau das droht auf dem Balkan, genau dort also, wo 1914 der Erste Weltkrieg, die Urkatastrophe Europas, ausgebrochen war.
Auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien schwelen gleich mehrere Konflikte. In Mazedonien zum Beispiel, wo es 2015 zu blutigen Unruhen und Kämpfen zwischen Angehörigen der albanischen Minderheit und mazedonischen Sicherheitskräften kam und wo allein in der Stadt Kumanovo 22 Menschen ums Leben kamen. Aus Albanien und dem Kosovo kamen düstere Drohungen, nach denen die Anfachung eines ethnischen Konflikts für Mazedonien „zerstörerisch“ werden könnte. Mazedonien gilt als politisches Pulverfass.
Und im mehrheitlich albanisch bewohnten Kosovo hat sich die Lage derart zugespitzt, dass der frühere Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und jetzige Direktor des Münchner „Zentrums für angewandte Konfliktforschung, Werner Weidenfeld, im „Focus“ warnte, auf dem Balkan könnte schon bald ein neuer Krieg ausbrechen. Es bestehe „erhebliches Konfliktpotenzial“. Zwar wolle Serbien in die EU und rede stets freundlich mit den EU-Diplomaten, wenn es um den Beitritt gehe. Doch die EU begreife nicht, dass diese Freundlichkeit in blanke Aggression umschlage, wenn es um das Kosovo gehe. Die Europäische Union müsse viel entschiedener gegen Serbien auftreten, forderte Weidenfeld.
1999 hatte die Nato – ohne Uno-Mandat – die jugoslawische Armee mit Luftangriffen gezwungen, aus dem Kosovo abzuziehen, wo die Serben brutal gegen die Albaner vorgegangen waren und die kosovarische Guerillaarmee UCK sich mit Anschlägen gegen Serben wehrte. 2008 hatte sich das Kosovo dann einseitig von Serbien abgespalten. Belgrad will dies weder anerkennen noch hinnehmen. Das Kosovo, Schauplatz der verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld gegen das Osmanische Reich im Jahre 1389, gilt den Serben als heiliges historisches Herzland, aus dem sie damals vertrieben wurden.
Zündfunke in der jüngst eskalierten Krise war die Maßnahme der serbischen Regierung unter Ministerpräsident Aleksandar Vucic, nach 20 Jahren wieder den Zugverkehr mit dem Kosovo aufzunehmen. Was eine konstruktive Tat hätte sein können, war jedoch eine reine Propagandaoffensive – und eine Provokation für die Albaner, die fast zum Krieg führte. Die Serben hatten nämlich einen Zug in das vor allem von Serben bewohnte Mitrovica im Nordkosovo schicken wollen, auf dem in 21 Sprachen, darunter Albanisch, geschrieben stand: „Kosovo ist Serbien.“
Eine Einheit kosovarischer Elitepolizisten stand bereit, den Zug abzufangen. Serbiens Staatspräsident Tomislav Nikolic drohte daraufhin mit dem Einsatz der Armee. Regierungschef Vucic sprach eine „letzte Warnung“ an die Albaner aus, zog aber buchstäblich die Notbremse, indem er den Zug in Raska, dem letzten serbischen Grenzort, anhalten ließ.
Wie in Mazedonien gelingt es auch in Serbien der Regierung nicht, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Es grassieren organisierte Kriminalität und Korruption. Vielen Menschen geht es schlecht; sie sind zudem enttäuscht von der EU, die es trotz des Einsatzes von viel Geld und der größten EU-Auslandsmission Eulex nicht schafft, den Hass zu überbrücken und Gewaltausbrüche zu verhindern.
Auf dem Balkan schlägt die Stunde der nationalistischen Agitatoren. Vor allem die oft perspektivlose Jugend orientiert sich an autoritären, vermeintlich starken Vorbildern. Und im Hintergrund zieht Serbiens alter Verbündeter Russland die Fäden, dem Belgrads Kurs der Destabilisierung in die Hände spielt.
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