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Nach dem Arabischen Frühling ein Islamischer Winter?

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Thomas Frankenfeld

Die Zukunft des Nahen Ostens: Hamburger Forschungsinstitut räumt mit vier Missverständnissen auf

Betrachtet man die grausam geführten Kriege in Syrien, im Irak und im Jemen, die menschenverachtenden Regime in Saudi-Arabien, in Ägypten und anderen Staaten der Region, so muss man sagen, dass vom Arabischen Frühling, 2011 als Zeitenwende gefeiert, wenig geblieben ist. Nur in Tunesien gelang es nicht nur, den Despoten zu stürzen, sondern tatsächlich mehr Freiheitsrechte für die Bevölkerung politisch zu verankern. Inzwischen überwiegen pessimistische Bewertungen, was die politische und gesellschaftliche Zukunft der Region anbelangt.

Das an der Alster in Hamburg beheimatete renommierte Forschungsinstitut German Institute of Global and Area Studies (Giga) unter Leitung der indischen Wissenschaftlerin Prof. Amrita Narlikar hat nun eine Studie zum Phänomen Arabischer Frühling veröffentlicht. Die Autoren Stephan Rosiny und Thomas Richter kommen darin zu dem Ergebnis, dass sich mindestens vier Missverständnisse identifizieren lassen, die vor allem dem Westen in Bezug auf die arabischen Revolten unterlaufen sind. Dies zu erkennen sei wichtig, um künftig eine realistischere Einschätzung vornehmen zu können.

Erstens: Der Arabische Frühling ist nicht „aus heiterem Himmel gefallen“, wie immer wieder zu lesen war. Viele westliche Wissenschaftler und Politiker seien von seinem Ausbruch völlig überrascht worden – obwohl es seit Jahren zahlreiche Hinweise auf eine tiefe Unzufriedenheit in den Bevölkerungen gegeben habe und die Defizite autoritärer Herrschaft und ökonomischer Unterentwicklung schon seit Jahrzehnten bekannt gewesen seien. Schon seit den 1990er-Jahren demonstrierten Menschen gegen Korruption, staatliche Willkür, soziale Missstände und wirtschaftliche Ungleichheit. In den 2000er-Jahren veröffentlichten arabische Wissenschaftler die Arab Human Development Reports mit alarmierenden Berichten. Und von WikiLeaks veröffentlichte US-Botschaftsdepeschen belegten die Korruption der Regime.

Zweitens: Der Arabische Frühling war im Kern keine Demokratiebewegung. Die Idee einer „demokratischen Welle“ ist nach Meinung der Autoren eine von außen herangetragene Wunschvorstellung. Eine Demokratisierung hatte für die meisten Protestierenden keine Priorität; ihnen ging es um Gerechtigkeit, Freiheit und Würde. Zwar wurde der Sturz der Regime gefordert, aber in keinem einzigen Land die Einführung einer liberalen Parteiendemokratie. Dies habe auch damit zu tun, dass der Westen das Konzept einer solchen Demokratie immer wieder selektiv zur Durchsetzung seiner Interessen einsetzte. Die autoritären Regime hätten den Westen auch davon überzeugt, dass ihre Form der „gelenkten Demokratie“ die bessere Alternative zur Bedrohung durch den politischen Islam sei. Heute kann man von einem grundsätzlichen Scheitern von Demokratie in der arabischen Welt sprechen.

Drittens: Der Arabische Frühling war keine homogene Bewegung. Zwar gab es große Überschneidungen bei den Ursachen der Proteste und den Forderungen der Menschen, aber es existierten von Land zu Land – etwa zwischen Ägypten und den Golfmonarchien – erhebliche Unterschiede, vor allem beim Bildungsgefälle, der sozialen Schichtung, dem Grad der Urbanisierung und Industrialisierung sowie dem innerstaatlichen Wohlstandsgefälle. Aufgrund dieser Differenzen entwickelten sich ganz unterschiedliche Dynamiken aus Protest und Regime-Reaktion.

Viertens: Es droht wohl kein „Islamischer Winter“. Nachdem die Imperien zurückgeschlagen haben und dschihadistische Gewaltakteure zur Offensive übergegangen sind, macht das Wort von einem solchen heraufziehenden Winter die Runde. Doch diese Sichtweise greife zu kurz. Die zunehmende Konfrontation zwischen Sunniten und Schiiten, Muslimbrüdern und Salafisten sowie die Ausrufung des IS-Kalifats hätten den politischen Islam vielmehr in eine schwere Identitätskrise gestürzt, meinen die Autoren der Giga-Studie.

In welche Richtung sich künftig moderate Islamisten entwickeln werden – zum Pluralismus oder zur Radikalität –, sei indes eine der größten Unsicherheiten für die Zukunft der Region.

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