Die Bewohner von St. Pauli sind Kummer gewohnt. Der Stadtteil war stets nicht nur Heimat für rund 25.000 Bewohner, sondern auch Vergnügungsmeile für Millionen. Wenn der Jungfernstieg das Wohnzimmer der Hansestadt ist, ist St. Pauli der Partykeller. Entsprechend viele seltsame Vorschläge zur Gestaltung des Stadtteils haben die Hamburger entworfen und wieder verworfen.
In den 80er-Jahren sollte ein gigantischer Vergnügungsdampfer aus Stahl und Beton den Spielbudenplatz heimsuchen, Anfang des Jahrtausends eine skurrile Großinstallation aus Kränen, Schnurrbart und Gummienten. Vor zwei Jahren verhinderte ein Bürgerentscheid eine Seilbahn zum anderen Elbufer. Da klingt der geplante Stadtgarten auf dem Bunker an der Feldstraße nach einer weiteren Schnapsidee, die Hamburger St. Pauli einschenken wollen.
Doch dieses Mal ist es anders. Die Idee stammt von Bewohnern des Stadtteils. Sie denken an die Situation vor Ort und nicht nur in den Kategorien der touristischen Gewinnmaximierung. Der Ausgangspunkt der Überlegungen war die Lage im Viertel. Seit Langem fehlt es an Park- und Grünflächen, seit Jahren kämpft eine umtriebige soziale Bewegung für einen öffentlichen Stadtteilgarten, die auf den Dächern der Rindermarkthalle aber nicht zum Zuge kam. Zudem vermissen viele auf St. Pauli eine Halle, die dem Breitensport offen steht. Und auch ein Mahnmal, das endlich die Geschichte des von Zwangsarbeitern errichteten Bunkers an der Feldstraße erzählt, fehlt bis heute.
All das gilt es mitzudenken, bevor man sich auf das Projekt einschießt oder gar einen Vergleich zur Elbphilharmonie zieht. Das Bauvorhaben unter dem Namen Hilldegarden ist kein Beschluss von oben, sondern wächst von unten. Seit zwei Jahren arbeiten 50 Anwohner, Denkmalinteressierte und Stadtteilgärtner gemeinsam an der Umsetzung, bringen Ideen ein und verändern die Planung.
Natürlich ist der Vorschlag des Eigners, der den Bunker bis 2053 gepachtet hat und diesen Vertrag nun unentgeltlich um rund 40 Jahre verlängert bekommen soll, kein Geschenk. Er möchte mit der Vermietung der Flächen Geld verdienen. Aber dies ist, auch wenn das auf St. Pauli manchmal etwas in Vergessenheit gerät, nicht ehrenrührig, sondern ein Treibstoff der sozialen Marktwirtschaft. Wenn sich Privat- und Gemeininteressen zu beiderseitigem Nutzen verbinden, liegt der Gewinn bei allen. Zumal die Kulturbehörde mindestens 50 Prozent der neuen Flächen für die kulturelle und stadtteilbezogene Nutzung herausgeschlagen hat – sie hat die Interessen der aktuellen Mieter im Bunker genauso im Blick wie die der möglichen zukünftigen Nutzer im Aufbau. Da verwundert, dass die Politik auf die „Hilldegarden“-Idee so verhalten reagiert. Offenbar gilt nach dem Olympia-Aus Kleinmut als hohe Politikkunst.
Zwar fürchten einige Denkmalschützer um die stadtbildprägende„rohe Monumentalität“, aber erst das Projekt „Hilldegarden“ hat den Bunker sieben Jahrzehnte nach Kriegsende wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Der Stadtgarten auf dem Bunker wäre eben nicht nur ein grüner Hügel der Lebensqualität, sondern auch ein Mahnmal für den Schrecken des Krieges und der NS-Diktatur. Es ist diese Verbindung, die den besonderen Reiz des Projektes ausmacht. Wie heißt es so schön in der Bibel beim Propheten Micha: „ Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.“ Der Satz inspirierte einst die Friedensbewegung in Ost und West. St. Pauli kann nun ein drittes Bild hinzufügen: Wir können einen Bunker in einen Garten verwandeln.
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