Es gehört selbst für einen Bundesgesundheitsminister schon viel Chuzpe dazu, sich in Dinge einzumischen, von denen er keine Ahnung hat. Hermann Gröhe (CDU) gibt jetzt also auch Empfehlungen für medizinische Notfälle ab. Wie man Leben rettet, schreibt Gröhe in die Begründung des E-Health-Gesetzes: Der Notarzt schaut künftig nicht mehr den Patienten an, sondern liest die elektronische Gesundheitskarte in sein Gerät ein, wartet auf den Aufbau der Internetverbindung – und wieder ist ein Menschenleben gerettet.
Notärzte sind bislang ohne Gröhes Vorschläge gut gefahren. Das neue Gesetz über die elektronische Gesundheitskarte, Patientenakten im Internet und Extrahonorare für Doktoren, die E-Mails schicken und lesen können, ist so praxisfern, dass es einen schaudert.
Erstens: Im Notfall nützt die Gesundheitskarte wenig. Ärzte arbeiten ihr bewährtes Helfer-Schema ab, auch an Allergikern, Mehrfach-Medikamentennutzern. Die künftigen Daten auf der Karte sind freiwillig, wahrscheinlich nie aktuell und auch deshalb irreführend. Wer zum Beispiel Viagra nimmt, verschweigt es oft.
Zweitens: Warum ein zweites, ein Parallelnetz aufbauen für Gesundheitsdaten? Warum Ärzte zusätzlich bezahlen, wenn sie E-Mails darüber schicken? Und denen Geld abziehen, die das nicht tun? Warum Krankenkassen mit Geldentzug drohen, wenn sie die elektronische Gesundheitskarte nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt mit allen Funktionen betriebsbereit haben? Die Industrie hat nicht mal die Technik geliefert. Die Tests wurden wieder verschoben.
Drittens: Warum Patienten, Ärzte, Kassen, einfach alle immer gängeln und bedrohen, wenn es nur um Bürokratie und nie um echten medizinischen Nutzen geht?
Gröhes Murks ist Ausdruck des digitalen Versagens dieser und vorangegangener Bundesregierungen. Der Minister will per ordre de mufti regeln, was über zehn Jahre nicht geklappt hat. Die heutige Gesundheitskarte kann nur wenig mehr als der analoge Vorgänger. Beim Ausbau von Breitbandverbindungen auf dem Land sind andere Staaten deutlich weiter. Schon vor diesem Hintergrund ist dieses Gesetz über unsere intimen Daten lächerlich.
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