Meinung
Gastbeitrag

Erzbischof Heße und das Licht der Osternacht

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Erzbischof Stefan Heße
Erzbischof Stefan Heße

Erzbischof Stefan Heße

Foto: Daniel Bockwoldt / dpa

Haben Sie schon einmal von „Lichtverschmutzung“ gehört? Nein? Dann geht es Ihnen wie mir bis vor kurzer Zeit. Ein Gastbeitrag von Erzbischof Stefan Heße.

Ich habe mich schlau gemacht: Unter Lichtverschmutzung versteht man die Erhellung der Nacht durch künstliche Lichtquellen. „Verschmutzung“ wird dieses Phänomen deshalb genannt, weil die Zunahme des künstlichen Lichts durchaus mit handfesten Problemen einhergeht: Tiere und Menschen werden in ihrem Biorhythmus gestört, Scharen von Insekten sterben jede Nacht in Straßenlaternen.

Lichtverschmutzung geht aber weiter: Fahre ich aus der Stadt Hamburg hinaus auf das Land, dann komme ich ins Staunen: Der Sternenhimmel zeigt sich in großer Pracht. Viele Details, die mir in meinem St. Georg verborgen bleiben, enthüllen sich wieder: der Verlauf der Milchstraße und die verschiedenen Sternbilder. Diese Sterne geben Kundigen Orientierung. Das Licht des Polarsterns weist uns den Weg nach Norden; auf der Südhalbkugel übernimmt diese Funktion das „Kreuz des Südens“.

Blicke ich dann zurück in Richtung Hamburg, dann sehe ich am Horizont den riesigen Lichtkegel, der sich über die Metropole wölbt. Jetzt kann ich mir gut vorstellen, dass Lichtverschmutzung auch Auswirkungen auf die astronomische Beobachtung hat. Diese ist fast nur noch in menschenverlassenen Gegenden uneingeschränkt möglich. Überall sonst ist es nachts zu hell. Es gibt inzwischen auch erste Lichtschutzgebiete. Das sind Landstriche, die bewusst von künstlichen Lichtquellen freigehalten werden. Darüber wacht die sogenannte International Dark Sky Association.

Nach der biblischen Überlieferung ist Jesus Christus in einer Nacht geboren. Und er ist nach seinem Tod am Kreuz in einer Nacht zu neuem Leben auferstanden. Die kirchliche Liturgie der Osternacht setzt daher ganz bewusst im Dunkeln ein. Um das Osterfeuer herum versammeln sich die Menschen, warten darauf, dass die Osterkerze angezündet wird. Es ist das Licht dieser einen Kerze in der Dunkelheit, das den Beginn des Osterfestes markiert. Mit dem Ruf „Christus, das Licht“ auf den Lippen ziehen die Menschen in die finstere Kirche ein. Das Licht wandert von der Osterkerze zu vielen anderen Kerzen. Langsam, Kerze für Kerze, erhellt sich die Nacht, erhellt sich die Kirche und begrüßt ihren auferstandenen Herrn. Nur in einer wirklich dunklen Nacht kommt dieser Ritus zur Geltung. Wo künstliches Licht allgegenwärtig ist, da wirkt der Beginn der Osternachtliturgie ausdruckslos. Schon deshalb kann ich dem Anliegen der International Dark Sky Association etwas abgewinnen.

Manchmal leiden wir auch im übertragenen Sinn an Lichtverschmutzung. Viele mediale Lichtblitze heischen um unsere Aufmerksamkeit. Wir werden geblendet vom grellen Licht mutmaßlicher exklusiver Erkenntnisse über Mensch und Welt. Und esoterische Funzeln spielen sich als Orientierungshilfen für das Leben auf. Diese künstlichen Lichtquellen überstrahlen dann die Aussicht auf das eine Licht, das wirklich uns die Richtung weisen kann: das Licht des Lebens, das von Ostern herkommt.

Je nach Wetterlage flackert die Osterkerze bei der Auferstehungsfeier arg im Wind. Das Licht des Lebens scheint verwundbar zu sein. Gleich dem Sternenlicht leuchtet das Osterlicht schwach und unscheinbar. Doch von dieser einen schwachen Kerze geht in der Osternacht die Botschaft des neuen Lebens aus.

Manchmal spüre ich in mir den Wunsch, das Licht des österlichen Glaubens möge die Welt auf einen Schlag licht und hell machen. Das sollte doch im Sinne Jesu Christi, dem „Licht der Welt“ sein. Je dringlicher dieser Wunsch nach einer christlichen Lichterflut in mir brennt, umso mehr muss ich mich auf die schwache Flamme Jesus Christus konzentrieren. Denn das Licht Jesu Christi überstrahlt nicht. Es blendet nicht so, dass einem schwarz vor Augen wird. So wie das Osterlicht Kerze um Kerze weitergegeben wird, so möchte die christliche Botschaft vom auferstandenen Leben von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Nicht als penetranter Leuchtstrahl, sondern als die kleine Flamme des Glaubens.

Gerade in seiner menschlichen Schwachheit bringt das Licht Jesus Christus „Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit“ hervor. Auch wir können und sollen Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit in die Welt tragen. Güte dorthin, wo der Hass des Fundamentalismus jede Liebe verschüttet hat. Gerechtigkeit dorthin, wo die Gier nach Macht das Wohl der Menschen untergräbt. Wahrheit, wo Propaganda und Hetze die Wirklichkeit verdrehen.

Wenn ich erfahren darf, dass auf diese Weise das Osterlicht vielen Menschen Orientierung und Staunen schenkt, dann werde ich froh. Das ist dann alles andere als Lichtverschmutzung. Es ist das Licht des auferstandenen Lebens.

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