Es muss Liebe sein: Nur Dortmund, Bayern und Schalke 04 haben bei Heimspielen mehr Zuschauer. Wann zahlt das Team dafür zurück?

Die Hamburger sind großartig. Auf jeden Fall jene, die den Fußball und den HSV lieben. Sie beweisen, dass sie belastungsfähig und unerschütterlich sind, denn: Es kann eigentlich passieren, was will, die Anhänger der Rothosen pilgern in den Volkspark, wenn der Club ruft. Der HSV kann, das zeigt die Vergangenheit, spielen, wie er will, er kann sogar jedes Jahr ums nackte Überleben in der Bundesliga kämpfen, er kann sogar 2:9 und auch 0:8 in München verlieren – in Hamburg ist „die Hütte“ fast immer gefüllt, meistens knapp vor ausverkauft.

HSV-Fans kann offenbar nichts schocken; weder Zweitliga-Niveau, Fußball zum Abgewöhnen oder Rückpass-Festivals – sie sind immer da. Phänomenal. Wie zuletzt: Eine Woche nach dem Debakel gegen die Bayern zahlen 52.105 Freunde des Fußballs beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach Eintritt. Fantastisch. Oder einfach nur unverbesserlich?

Der Zuspruch ist auf jeden Fall großartig. Hinter Dortmund, Bayern und Schalke 04 rangiert der HSV in der Gunst der Fans auf Platz vier. In elf Spielen kamen in dieser Saison bislang 572.317 Zuschauer in den Volkspark. Das war nicht immer so. Es gibt genügend Negativbeispiele. Fast unglaublich: Am 6. Mai 1977 spielte der HSV um Bundesliga-Punkte gegen Duisburg und siegte vor 19.000 Zuschauern 2:0. Von Vorfreude keine Spur: Nur fünf Tage später gewann der HSV das Finale im europäischen Pokalsieger-Wettbewerb gegen Anderlecht 2:0.

Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, auch international: Auf dem Weg zum Landesmeister-Titel spielte der HSV am 20. Oktober 1982 im Achtelfinale gegen Olympiakos Piräus (1:0), nur 17.000 Zuschauer kamen in den Volkspark. Am 3. Juni 1989 zahlten am 32. Bundesliga-Spieltag lediglich 9000 Fans Eintritt, um das 1:1 gegen Kaiserslautern zu sehen.

Erst mit der Arena im Jahr 2000 wurde die neue Fußball-Erlebniswelt geschaffen. Seitdem kann der HSV spielen, wie er will – um die 50.000 Fans kommen immer. Dabei sein ist alles. Oder ist es Gewohnheit? Fußball-Masochismus? Vielleicht aber auch nur, schlicht und ergreifend, die Liebe zum HSV?

Letzteres trifft es wohl am ehesten. Wobei die Liebe sich mit der Sorge um den Bundesliga-Dino zu vermischen scheint. Solange der HSV nicht absteigt, kann auch der übermächtige FC Bayern den einen Rekord, den er noch nicht hält, nicht brechen: den der Klassenzugehörigkeit. Die Hamburger fiebern mit, und sie machen sich auch ihre Gedanken um die fußballerische Effizienz des HSV – so erlebt am vergangenen Montag bei der Hamburger Sport-Gala in den Börsensälen der Handelskammer. Zwanzigmal und mehr wurde die anscheinend alles entscheidende Frage gestellt: „Warum hatte der HSV keinen Abwehrspieler am kurzen Pfosten stehen, als Gladbach in der 92. Minute den Eckstoß zur Mitte brachte und doch noch das 1:1 erzielte?“ Bei Sepp Herberger oder Fußball-Professor Dettmar Cramer wäre dieses Tor nicht passiert, hieß es vielfach. Und einige dieser Fußball-Experten baten mich darüber hinaus, doch auch HSV-Trainer Joe Zinnbauer über den Fauxpas mit dem fehlenden Mann am Pfosten zu informieren ...

Als wenn der es nicht selbst wüsste. Ein Coach weiß so etwas. Spätestens dann, wenn der Ball im Netz liegt. Im modernen Fußball von heute aber ist es so, dass der Torwart entscheidet, ob er einen Verteidiger am Pfosten haben möchte, zwei oder gar keinen. Vielfach mögen die Keeper keinen Mann mehr am ersten Pfosten stehen haben, sie fühlen sich „mit“ in ihrer Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt.

Immerhin, da waren sich bei der Gala auch alle Gäste einig, sah das, was der HSV beim 1:1 gegen Mönchengladbach geboten hatte, nach Erstliga-Fußball aus. Endlich einmal wieder. Und erstmalig in diesem Jahr. Einhelliger Tenor: „Tritt die Mannschaft immer so beherzt auf, steigt sie auch nicht ab.“ Morgen, beim Auswärtsspiel in Frankfurt, sind wieder Leidenschaft und Engagement gefragt. Und vielleicht ja auch mal wieder ein zweiter Mann am ersten Pfosten ...

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