Wir brauchen neue Vorbilder, damit Kinder nicht länger Grund für einen Karriereknick sind

Eigentlich ist alles bestens. Frauen wollen mehr arbeiten, Männer wollen kürzertreten, so konnte man es erst kürzlich als Ergebnis mehrerer Studien lesen. Passt also prima. Oder?

Nö. Der Karriereknick kommt für Frauen mit dem Kind, meldete gestern die Arbeitsagentur Hamburg. Das wussten wir schon. Ja, hat sich denn so gar nichts Entscheidendes getan?!

Zum Aufwärmen ein Gedankenspiel: Es gibt Mütter, die arbeiten. Und es gibt Väter, die arbeiten. Der Unterschied: Bei den arbeitenden Müttern wissen die Kollegen, dass es Mütter sind (stimmt’s?). Bei den meisten arbeitenden Männern wissen sie es nicht – oder es spielt jedenfalls keine nennenswerte Rolle. Weil Frauen zu Hause bleiben, wenn die Kinder krank sind? Weil sie in Teilzeit arbeiten? Weil Männer sich nicht über Meetings nach 18 Uhr beschweren, jedenfalls nicht mit dem Argument: Dann kann ich nicht mehr „Mama Muh lernt schwimmen“ vorlesen? Weil die Kollegin mit den Kindern gebeten wird, den Kommentar zur Familienpolitik zu schreiben und nicht der Kollege, der ebenfalls Sohn und Tochter zu Hause hat? Zum Beispiel deshalb.

Dabei hat sich viel verändert. Für ihr Elterngeld wird die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf Spielplätzen und in Büros gelobt. Zu Recht: Das Elterngeld sorgt nicht nur dafür, dass sich Familien ein gutes Jahr lang um ihren Nachwuchs kümmern können, ohne in existenzielle finanzielle Bedrängnis zu geraten. Es hat vor allem dafür gesorgt, dass es heute nahezu selbstverständlich ist, dass Väter einen Teil der Elternzeit nehmen. In der Regel: die zwei Mindestmonate. Für die immerhin lässt es sich auch vor (männlichen) Kollegen und (sowieso meist männlichen) Vorgesetzten einfach argumentieren: Wer sie nicht nimmt, verschenkt Geld. Diese Logik begreifen auch Karrieremänner.

Dass die meisten Männer, die sich diese Zeit mit ihren Kindern „gegönnt“ haben, es anschließend als unzureichend empfinden, nur zum Gutenachtkuss nach Hause zu eilen und ansonsten – wie schon ihre Väter – Qualitätszeit höchstens am Wochenende zu erleben, gehört auf die Habenseite der Geschichte. Denn das Elterngeld hat ein gesellschaftliches Bewusstsein offengelegt, gestützt und rasant beschleunigt, in dem letztlich die Lösung schlummert: Kinder haben nicht nur Mütter. Sie haben Eltern. Und die ganze Familie (nicht zuletzt der Vater selbst) profitiert, wenn die Papas eine präsentere Rolle spielen. Viele Männer merken erst durch die Elternzeit verblüfft, wie erfüllend so ein Familienleben sein kann.

Frauen müssen sich also häufiger trauen, im Job Verantwortung zu übernehmen – vielleicht müssen sie nachdrücklicher geschubst werden, ganz sicher müssen sie es mehr einfordern. Es braucht dafür mehr Rollenvorbilder, mehr Bewusstsein, was familienkompatibles Arbeiten wirklich bedeutet, aber auch mehr Flexibilität und Selbstbewusstsein in der Gestaltung.

Warum teilen sich hierzulande Führungskräfte keine Stellen? Können sich Skandinavier grundsätzlich besser absprechen als Deutsche? Warum scheuen sich junge Männer bei jungen Chefs, die bisweilen selbst Väter sind, mehr als die akzeptierten zwei Monate Elternzeit einzufordern? Wegen des Karriereknicks. Der aber tritt nicht ein, wenn man(n) nicht mehr der Einzige ist. Entscheidend ist die kritische Masse. Nicht die Ausnahme zu sein und Vorbilder zu haben, erleichtert es allen Seiten.

Noch ein Gedankenspiel: Je mehr Männer auf Spielplätzen Schnoddernasen putzen, desto selbstverständlicher wird es – für den Einzelnen an der Schnoddernase, aber auch für den Rest im Büro, das der Kollege deshalb nämlich schon um 14 Uhr verlassen muss. Während seine Frau noch ein Meeting hat, in dem sie nicht die einzige Mutter in der Runde ist.