Der Umgang mit dem CDU-Spitzenkandidaten Dietrich Wersich schadet der Politik

Der Albtraum des Dietrich Wersich begann am Nachmittag des vorvergangenen Sonntags, als im inneren politischen Zirkel die Prognosen durchsickerten. Wenige Stunden später wurde das Debakel dann Gewissheit, Wersich musste mit 15,9 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis der Hamburger CDU verantworten. Seitdem, das kann man so sagen, ist im Leben des Dietrich Wersich nichts mehr so, wie es mal war.

„Versager“ ist noch eine der freundlichsten Titulierungen für den Mann, der zuvor mit seiner Vita als einer der wenigen Hoffnungsträger in der Hamburger CDU galt. Angesehener Arzt, geschätzter Leiter der Hamburger Kammerspiele, Senator für Gesundheit und Soziales, Zweiter Bürgermeister, schließlich Oppositionschef. Auch im Wahlkampf gab es parteiübergreifendes Lob, in den TV-Duellen mit Olaf Scholz, so der öffentliche Tenor, sei er zumindest ebenbürtig gewesen.

Vorbei. Jetzt schlägt ihn der Boulevard als Detlef WIRRsich an den medialen Pranger, Hinterbänkler zeigen Reportern hämisch ihre SMS-Rücktrittsforderungen an den „lieben Dietrich“. Und natürlich haben sie es jetzt alle vorher gewusst. Wahlkampf zu kuschelig, Kandidat zu zahm, Kampagne zu bieder. Völlig überfordert, der Mann. Allein diese doofe Idee mit dem Angebot des Verkehrsfriedens in Sachen Stadtbahn. Und jetzt klebt er auch noch an seinem Sessel, anstatt endlich Platz zu machen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Wer so krachend verliert, muss mit harscher Kritik leben. Und er muss auch hinnehmen, dass über seine politische Zukunft diskutiert wird. Auch im Abendblatt wurde Wersich ein Rückzug von der Kandidatur für den Fraktionsvorsitz nahegelegt. Doch inzwischen hat die Kampagne längst die Grenze zur Hetze überschritten. So wurde am Sonnabend die Tuschelei in CDU-Kreisen öffentlich, Wersich zeige inzwischen „autistische Züge“. Wer jemals im Werner-Otto-Institut miterlebt hat, wie Autismus-Experten versuchen, Eltern zu erklären, warum ihr Kind etwas anders sei als andere, kann solche Anwürfe nur noch als zynisch empfinden. Ein Armutszeugnis für eine Partei, die das große C in ihrem Namen führt. Erst recht gegenüber einem Spitzenkandidaten, der ganz bewusst – wie es seiner Persönlichkeit entspricht – einen leisen und klugen Wahlkampf gemacht hat. Hanseatisch, ohne persönliche Angriffe, ohne Buhlen am rechten Rand. Dies jetzt zu geißeln, wohl wissend, dass der Amtsinhaber auch mit anderen Waffen niemals zu schlagen gewesen wäre, ist niederträchtig. Statt Wersich zu danken, dass er sich überhaupt auf eine nicht gewinnbare Mission eingelassen hat, wird er nun unter Druck gesetzt, sofort, aber nun wirklich sofort, das Feld zu räumen. Dabei wäre Bedenkzeit über seine Zukunft das Mindeste an Respekt, was Wersich nach seinem engagierten Wahlkampf erwarten darf.

Der Fall Wersich wird Folgen haben, ganz sicher. Jeder Seiteneinsteiger wird sich künftig dreimal überlegen, ob er sich auf das Feld der Politik wagt, wenn neben des Verlusts des Mandats auch noch der Verlust der persönlichen Integrität droht. Altgediente CDU-Mitglieder, die bei Wind und Wetter für Wersich gekämpft haben, werden sich fragen, wofür sie Plakate geklebt und Aufkleber verteilt haben, wenn man mit ihrem Spitzenmann nun so umspringt.

Vor allem aber ist diese Form der politischen Auseinandersetzung Wasser auf die Mühlen derer, die seit Jahr und Tag gegen Politiker hetzen, sie in der Anonymität des Internets als Abzocker und Volksverräter denunzieren. Und nach dem starken Mann rufen, der endlich aufräumen müsse. Ihnen müssen wir die Stirn bieten. Und unsere Volksvertreter schützen.