Krieg in der Ukraine, Finanzkrise und der Terror des IS – Angst macht sich breit. Besinnen wir uns auf unsere Werte

Es ist eine diffuse, schleichende Angst, die sich wie Mehltau auf die Deutschen legt. Nichts und niemand scheint mehr sicher zu sein. Die Arbeitsplätze nicht, die Renten nicht, die bei vielen Menschen im Alter kaum noch ausreichend scheinen. Und wer sich in langen Jahren der Arbeit ein bescheidenes Vermögen aufgebaut hat, kann nun zusehen, wie es durch die Niedrigzinspolitik allmählich zerrinnt.

Die Ukraine-Krise sorgt zudem für Kriegsangst, ein Phänomen, das mit dem Ende des Kalten Krieges als überwunden galt. Plötzlich sinken die politischen Temperaturen, ein kalter Frieden ist angebrochen. Ein hochgerüstetes Russland wird vom Partner wieder zum politischen Gegner. Sein autoritär herrschender Präsident bricht internationale Verträge, wie es ihm passt, annektiert kurzerhand einen Teil eines Nachbarlandes und zettelt einen Krieg an. Und ausgerechnet jetzt ist uns der große Verbündete USA, der jahrzehntelang unsere Sicherheit garantiert hat, beunruhigend fremd geworden.

Die Griechenland-Krise fördert obendrein Ängste vor einem finanzpolitischen Domino-Effekt – womöglich einem Zusammenbruch des ganzen Euro-Systems mit unabsehbaren Folgen auch für Deutschlands Wirtschaft.

Und dann der Terror: In unserem westlichen und in unserem nördlichen Nachbarland ermorden islamistische Terroristen Menschen, nur weil diese ihre Meinung frei äußern wollen – oder weil sie Juden sind. Mit wachsendem Entsetzen verfolgen wir die Nachrichten aus dem Mittleren Osten, wo die fanatisierten Menschenschinder der Miliz „Islamischer Staat“ Männern, Frauen und Kindern die Köpfe abschneiden, Menschen lebendig verbrennen und Abertausende Frauen und sogar kleine Mädchen einem unerträglichen Schicksal als Sexsklavinnen zuführen. Tausende Europäer kämpfen unter den schwarzen Fahnen des IS – und werden eines Tages zurückkehren und ihren Hass mitten unter uns austoben wollen. Mit den Waffenlieferungen an die Kurden ist Deutschland längst Partei in einem heimtückischen Krieg geworden, der immer stärker die Grenzen der mittelöstlichen Region sprengt und einen globalen Charakter annimmt. Die Deutschen wollen sich heraushalten; doch das wird kaum möglich sein. Wir müssen Position beziehen, möglicherweise auch stärker in diesen Kampf eingreifen als bislang.

Im Konflikt mit Russland geht es vor allem um Macht und Nationalstolz, um Einkreisungsängste, auch um ideologische Unterschiede wie den Grad von Meinungsfreiheit und Pluralismus im Regierungssystem. Doch im Gegensatz zum IS sind diese Probleme überbrückbar. Letztlich wird man mit Russland auskommen müssen, wohl nicht als Partner, aber zumindest nach dem Grundmotto: Leben und leben lassen.

Doch wie geht man mit einem mörderischen Gegner um, dessen Motto lautet: Leben und sterben lassen? Am IS, für den jeder des Todes ist, der seine bestialische Version des Islam nicht aktiv unterstützt, scheitert unsere Kultur des diplomatischen Ausgleichs. Wir – die Menschen des westlichen Kulturkreises, die Kinder der Aufklärung – stehen zum ersten Mal in einem Konflikt, der nicht mit einem akzeptablen Kompromiss, sondern nur mit dem Untergang einer Seite enden kann. Da wird in Braunschweig, gar nicht so weit von Hamburg entfernt, eine 700 Jahre alte Karnevalstradition, ein Tag harmloser Heiterkeit, abgesagt, weil man islamistische Terrorakte fürchtet. Was illustriert drastischer, dass wir keineswegs nur unbeteiligte Zuschauer sind!

Wir dürfen uns aber nicht von Ängsten beherrschen lassen. Ungeachtet aller Krisen geht es uns sehr viel besser als den meisten anderen Staaten der Erde, wir haben ein verlässliches politisches System von Demokratie, Rechtssicherheit und Toleranz. Wir müssen uns aber auf jene Werte besinnen, die uns dieses Leben in Freiheit ermöglichen – und sie auch im eigenen Land verteidigen. Jener Satz, den Ralph Giordano einst Neonazis entgegenschleuderte, sollten wir uns auch im Kampf mit anderen Fanatikern zu eigen machen: „Wir sind die Stärkeren!“