Bei welcher Frau, bitte schön, löst der Film „50 Shades of Grey“ denn erotische Fantasien aus? Bei uns im Kino wurde jedenfalls laut gelacht

Eine alte Journalisten-Erkenntnis lautet: Man kann nicht etwas hochschreiben, das nicht ein Quäntchen Wahrheit enthält. Demnach müssten E. L. James’ Romanerfolg „50 Shades of Grey“ und der gerade angelaufene Film zumindest Spurenelemente weiblicher Bedürfnisse wiedergeben. Man fragt sich nur: Welche Spurenelemente könnten das sein?

Ja, was sagt uns dieses Märchen? Sehnen sich Millionen Frauen danach, übers Knie gelegt zu werden und sich einem Mann völlig zu unterwerfen? Als Spielchen und Fantasie – sicher. Dass Schmerz die Lust steigern kann, ist ja nicht neu. Aber als Lebenskonzept? Sicher nicht. Totale Unterwerfung ist für die berufstätige Frau ja furchtbar lästig.

Und wie püppimäßig muss eine junge Frau eigentlich gestrickt sein, um sich – wie Ana im Roman – von einem Typ blenden zu lassen, der zwar mit Statussymbolen wie Hubschrauber und Luxusloft wedelt, sich aber als emotionales Entwicklungsland entpuppt? Schon vor 30 Jahren hat das höchstens noch die katholische Arbeitertochter aus der Eifel beeindruckt. Mit den heutigen Erfahrungen von „Sex and the City“ und der wunderbar entkrampften Serie „Girls“ lassen sich junge Frauen nicht mal die Farbe ihrer Fernsehpuschen vorschreiben. Von welchem Stern ist dieses Kunstprodukt Ana, das sich ständig in Selbstzerknirschung ergeht?

Und haben die Romane wirklich den Weg zu Sadomaso-Praktiken geebnet, wie zahlreiche Welterklärer glauben? Mag sein, dass junge Paare jetzt angeblich häufiger in Sexshops schlendern, um sich unverbindlich über Handschellen, Peitschen, Paddles (dasselbe wie „Paddel“) und Bondage-Zeugs zu informieren. Für den Anfang reichen auch Bratenwender und Heimwerkerbedarf, meinen Experten. Aber die SM-Szene bleibt skeptisch: Erstens erfordern SM-Praktiken von den Partnern unbedingtes Vertrauen und gemeinsame Fantasien statt einseitiger Unterwerfung. Zweitens wimmelt es in der Szene ja gerade von starken Frauen, die den Mann an der Leine durchs Wohnzimmer führen (die Einkommensteuererklärung darf er aber trotzdem machen).

Der prophezeite SM-Boom jedenfalls ist bisher ausgeblieben. Fördert nun wenigstens der Film erotische Fantasien? Ach, würde er doch nur! Zumindest fördert er die Heiterkeit, an einigen Stellen wurde im Kino laut gelacht. Außer einem etwas knirschenden Übergang von Blümchensex zu Popohauen (laut „Bild“ mit einem Hintern-Double für die Hauptdarstellerin) ist ja auch nicht viel zu sehen, dafür umso häufiger Dakota Johnsons wirrer Dackelblick und „O“-Mund als Vorwarnung für „Gleich kommt’s!“ In die Top Ten des erotischen Films dürfte es „50 Shades of Grey“ damit allerdings nicht schaffen.

Da gibt es nämlich andere Filmkaliber. Beispielsweise „Henry & June“ (über das Dreiecksverhältnis der Schriftstellerin Anaïs Nin mit Henry Miller und seiner Frau June, Letztere gespielt von der jungen Uma Thurman); oder „Belle de Jour“ mit Catherine Deneuve. Ganz zu schweigen von „9 ½ Wochen“ mit Kim Basinger und Mickey Rourke (vor seiner Botox-OP), wonach der Gebrauch von Eiswürfeln und Schokosirup in den Schlafzimmern sprunghaft anstieg. Und erst Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“! Der Stoff war 1972 so skandalös, dass Jean-Louis Trintignant und Jean-Paul Belmondo die Hauptrolle ablehnten. Erst mit Marlon Brando und Maria Schneider wurde der Film zu einem kassenträchtigen Erfolg, gerade wegen der expliziten Sexszenen samt Masturbation und Analverkehr (ich sage nur: „Butter“). Allerdings wurde hier der Kampf um Dominanz und Erniedrigung wesentlich ernsthafter genommen – bis zum bitteren Filmende.

Selbst gegen „Basic Instinct“ mit der berühmten Eispickelszene ist „50 Shades of Grey“ bloß Kleinmädchen-Bondage, noch so eine Sendung mit der Maus. Und kein Frauenfilm, sondern einfach eine Variation der alten Männerfantasie „selbstgerechter Chromosomentempel erzieht sich sein Gänschen“. Erinnern Sie sich an „My Fair Lady“? Das war quasi die philologische Variante: Der schwadronierende Professor Higgins bildet sich das Blumenmädchen Eliza Doolittle zurecht. Christian Grey macht es jetzt eben mit Handschellen. War sonst noch was?

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag