Tsipras überreizt sein Blatt – Griechenland droht ein Euro-Ausstieg aus Versehen

Der Begriff „Grexit“ – der Ausstieg Griechenlands aus dem Euro – hat über Monate die Finanzmärkte in Atem gehalten. Nun wird er immer wahrscheinlicher, die Märkte aber bleiben relativ cool. Der Deutsche Aktienindex notiert nur knapp unter seinem Rekordhoch, der Euro hat sich zumindest stabilisiert, und die Risikoaufschläge für Staatsanleihen aus Schuldenstaaten verharren auf niedrigem Niveau. Dabei müssten die Nachrichten nervös machen.

Die neu gewählte griechische Regierung möchte Europa mit den Risiken eines Ausstiegs erschrecken und damit Erleichterungen für das Land erzwingen. Nun bringt sie gar russische Hilfen ins Spiel, sollte die Europäische Zentralbank den Geldhahn zudrehen. Aber Europa lässt sich bislang nicht erpressen. „Wenn von mir keine Hilfe gewünscht wird, ist das auch in Ordnung“, sagte der genervte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Briten stellen sich schon auf den Euro-Ausstieg der Griechen ein. Die Griechen heben immer mehr Geld von den Banken ab. An den Märkten wird die Wahrscheinlichkeit derzeit auf 80 Prozent taxiert, auch Ex-US-Notenbankchef Alan Greenspan rechnet mit einem Ausscheiden Griechenlands.

Vieles weist darauf hin, dass Alexis Tsipras und seine Chaos-Combo aus Links- und Rechtsradikalen ein Szenario herbeiregieren, das sie eigentlich nicht wollen. Am Ende stünde dann ein Euro-Ausstieg aus Versehen, ein Grexit by accident (Grexident).

Niemand darf sich dieses Szenario wünschen – es wäre ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Zwar dürften die Ansteckungsgefahren in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sein; wie sich die Märkte aber danach verhalten werden, weiß niemand. Auch die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers hielten viele für beherrschbar – danach brach die Finanzkrise erst richtig los. Pessimisten fürchten beim Griechen-Ausstieg „Lehman im Quadrat“. Teuer wird es in jedem Fall – sowohl für die Griechen, die in ein Desaster stürzen würden, als auch für die europäischen Steuerzahler, die Milliarden abschreiben müssten.

Europa bleibt derzeit nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Tsipras zockt und überreizt sein Blatt. Ständig neue Forderungen nach Reparationen für die Weltkriegs-Gräuel oder Rückzahlung eines Zwangskredits aus dem Jahr 1942 vergiften die Verhandlungsatmosphäre. An der griechischen Tragödie von heute sind aber nicht die Deutschen schuld, sondern die Griechen selbst. Wenn die Euro-Zone Hellas verliert, kann das der Anfang vom Ende der Währungsunion sein. Wenn Europa aber Dreistigkeit und Realitätsverweigerung belohnt, wird es sicher scheitern.

Tsipras und Europa müssen rasch von Konfrontation auf Dialog umschalten. Nicht ohne Grund hatten einige Beobachter Tsipras’ Wahlsieg als Chance für Griechenland gesehen: Er stand für eine Partei, welche Kleptokratie und Korruption zu überwinden versprach, endlich schien eine Besteuerung der asozialen griechischen Multimillionäre möglich zu werden. Selbst die Ablehnung der Troika ist nachvollziehbar, hatte diese doch stets mit den korrupten Eliten von früher zusammengearbeitet. Für eine radikale Reform Griechenlands hätte Alexis Tsipras jede Unterstützung verdient, für eine Fortsetzung der griechischen Krankheit auf Kosten Europas hingegen muss ihm jede Hilfe versagt bleiben.

Wohin aber steuern Tsipras und sein Finanzminister Giannis Varoufakis? Beide verfolgen eine Politik, die von der Spieltheorie beeinflusst ist. Sie sind bereit, in ihren Forderungen und den Verhandlungen bis an den „Rand des Abgrunds“ zu gehen. Inzwischen ist auch Berlin in das Polit-Mikado eingestiegen. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Gut möglich, dass am Ende alle verlieren.