Architekten überbieten sich bei der Begrünung postmoderner Bauten. Dabei könnte die Pflege der Parks Stadtmenschen glücklicher machen

Seit Jahren kämpfen die Urban-Gardening-Initiativen „Keimzelle“ im Karoviertel und das „Gartendeck“ auf St. Pauli um öffentliche Flächen für gemeinschaftliche Gemüsegärten. Auf dem Feldstraßenbunker soll neben kommerziellen Aufbauten auch ein öffentlicher Dachgarten entstehen. Auf einer künstlichen Insel im Baakenhafen ist die „Spiel- und Spaßinsel Baaken Island“ geplant, und auf dem Autobahndeckel der A 7 ein neuer Quartierspark und Kleingärten für Schnelsen.

Diese Hamburger Projekte gehören neben einigen internationalen zu den „Beispielen, Ideen und Visionen einer neuen Stadtbegrünung“, die in der Ausstellung „Stadtgrün 3.0“ zurzeit im Hamburg Museum vorgestellt werden. Alle Metropolen – von Avignon bis Singapur – haben einen Grad an Verdichtung erreicht, der große Parkprojekte unmöglich macht. Von so viel Platz, wie er vor 100 Jahren für den Hamburger Stadtpark oder den Altonaer Volkspark zur Verfügung stand, können Bürgerinitiativen, Stadt-, Landschafts- und Grünplaner heute nur noch träumen. Deshalb richten sie ihre Blicke auf Flächen, die eigentlich anders genutzt wurden: Dächer, Deponien, Fassaden, Brücken, Industriebrachen, Flughäfen oder Bahntrassen.

Die Ausstellung zeigt Beispiele in einer beeindruckenden Bandbreite. Um ihre immensen Entsorgungskosten zu sparen, plant die Stadt New York vor ihrer Küste drei Kompostieranlagen auf künstlichen Inseln, auf deren Dächern Flächen für Parks, Farming- und Freizeitprojekte entstehen sollen. Madrid hat auf den Autobahntunneln entlang des Flusses Manzanares Parks, Wäldchen und Sportanlagen angelegt. Aus früheren Flughäfen wie in Frankfurt-Bonames und Berlin-Tempelhof werden Gelände für Skater, Spaziergänger, Picknickbesucher und Naturfreunde. Auf einer ehemaligen Hochbahntrasse im Westen von Manhattan gehen die New Yorker heute in der Parkanlage „High Line“ spazieren, und im Berliner Gleisdreieck entstanden auf 43 Hektar Wanderwege, Yoga-Wiesen und Skateparks. In London soll ab 2018 sogar eine mit Wiesen und Bäumen bepflanzte Fußgängerbrücke die Themse überspannen. Den „Marché des Halles“ in Avignon und den Zaun des Botanischen Gartens in Frankfurt zieren jetzt aufwendige vertikale Hängegärten.

Auf der Oberfläche betrachtet, gibt es also in der postmodernen Stadt so gut wie nichts, das – technisch gesehen – nicht begrünt werden könnte. Was auffällt: Ein großer Teil der künstlichen Inseln, Fassadenbegrünungen und überbauten Deponien wurde in Architektenbüros, Freiraumagenturen und Ingenieurstudios entworfen. Um das Stadtgrün 3.0 ist geradezu ein Architekten- und Ingenieurs-Wettbewerb ausgebrochen. Ohne technisches Know-how funktionieren viele postmoderne Garten- und Parkanlagen nämlich gar nicht. Natürlich kann man große Gebäude begrünen, wie es der Architekt Stefano Boeri in Mailand mit seinem „vertikalen Wald“ an zwei Wohnhochhäusern versucht. Nur: Der Aufwand ist enorm, und die komplexen Begrünungssysteme, die über Computerprogramme ständig mit Wasser und Dünger versorgt werden müssen, sind im Unterhalt über Jahre und Jahrzehnte wesentlich teurer, als es öffentlich geförderte Gründächer wären. Boeris „Bosco Verticale“ kostet etwa 85 Millionen Dollar – nur fünf Prozent davon gehen für die Aufforstung drauf, rechnet der Architekt, also 4,25 Millionen Dollar. Allein damit könnte man 860 Hektar Stadtwald aufforsten.

Die Kommunen, die für die Pflege ihrer Parks immer weniger Geld haben, müssen sich entscheiden: Wollen sie nachhaltig ins öffentliche Grün investieren und Räume zur Erholung, für gärtnerische, sportliche oder Freizeitaktivitäten schaffen, oder wollen sie urbane Hingucker, die Architektenpreise absahnen? Auf Dauer könnten Urban-Gardening-Projekte, gepflegte Spielplätze und Schulgärten die Stadtmenschen glücklicher machen als Hightech-Lösungen. „Können wir bitte aufhören, Bäume auf die Dächer von Hochhäuser zu malen?“, schreibt der Architektur-Blogger Tim De Chant. „Es gibt eine Menge wissenschaftlicher Gründe, wieso Wolkenkratzer keine Bäume haben und vielleicht auch nie haben werden.“