Das Festkomitee des Kölner Karnevals übt sich trotz Kritik in vorauseilender Feigheit und verbietet einen Wagen, der an Paris erinnert

Als gebürtige Kölnerin betrachte ich den Kölner Karneval mit intrinsischem Heimatgefühl. In früher Kindheit habe ich an der Hand meines Opas keinen Rosenmontagszug versäumt und Kamellen gesammelt, als Katze oder Maus verkleidet (die Ohren waren wiederverwendbar). Ein Spielkamerad ging mal als „Muselmane“ mit angemaltem Bart. Ich erinnere mich noch an das Geheul, als sich im Getümmel plötzlich der Turban auflöste.

An diese unbefangenen Zeiten musste ich denken, als das Festkomitee des Kölner Karnevals jetzt verkündete: Der geplante Charlie-Hebdo-Karnevalswagen darf nicht im Rosenmontagszug mitfahren. Auf dem Wagen stopft ein tapferer Jeck einem vermummten Selbstmordattentäter einen Zeichenstift in die Waffe. Plakate daneben zeigen die in Paris ermordeten Karikaturisten, eine Friedenstaube, europäische Flaggen und den Schriftzug „Ich bin Charlie“. Außerdem pinkelt ein Idefix dem Terroristen ans Bein.

Das ist noch keine satirische Speerspitze, aber für das Kölner Festkomitee war es schon zu viel. Alle Teilnehmer sollten „befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben“, heißt es in der Begründung des Karneval-Komitees. „Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht.“ Die von der eigenen Leichtigkeit benebelten Oberjecken mussten allerdings einräumen, dass sich viele Karnevalsvereine für die Mitfahrt auf gerade diesem Wagen beworben hatten, um ein Zeichen zu setzen.

Wessen Freiheit, bitte, hätte dieser Wagen denn eingeschränkt? Und wozu hat sich der Kölner Karneval vor Jahren elf Leitsätze gegeben? Danach fördert der Karneval „aktiv Brauchtum und Kultur“ (Satz 5), übernimmt „gesellschaftliche Verantwortung“ (Satz 7) und hat „eine Spiegelfunktion: gesellschaftskritisch, werteorientiert und unabhängig“ (Satz 10). Tja, den Wert der Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit hat man gerade in den Rhein gekippt.

Die Entscheidung ist besonders absurd, weil das Festkomitee noch eine Woche vorher auf Facebook über verschiedene Entwürfe abstimmen ließ. Mehr als 7000 User nahmen teil, und die meisten Likes entfielen auf das Motiv mit dem Karikaturisten, der sich mit einem Bleistift gegen den Attentäter wehrt. „Die Angriffe waren ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit – im Karneval auch bekannt als Narrenfreiheit“, verkündete Komitee-Vizepräsident Christoph damals noch vollmundig. Jetzt muss Kuckelhorn – im Hauptberuf Kölns größter Bestatter – die Beerdigung des Charlie-Hebdo-Wagens erklären.

Im Internet hagelt es Kritik von „Zurücktreten!“ bis „Schämt euch!“. Aufgeklärte Muslime, etwa der Liberal Islamische Bund (LIB), verstehen die Entscheidung nicht: Der Wagen verletze nicht die Gefühle der Muslime, weil der Prophet und der Islam ja überhaupt nicht herabgewürdigt werden. „Der diesjährige Rosenmontagszug in Köln wird ausschließlich aus genormten, hellgrauen Quadern von 8 x 3 x 3 Metern bestehen“, spottet das Satiremagazin „Postillon“, da das Festkomitee festgestellt habe, dass eigentlich auch jeder andere Festwagen irgendwelche Gefühle verletzen könnte.

Mit dem Vorgang haben wir ein Paradebeispiel für vorauseilende Feigheit und die Preisgabe von Meinungsfreiheit. Karneval macht sich lustig über alle Obrigkeiten, penetrant und manchmal unterirdisch geschmacklos – das ist sein Sinn seit Jahrhunderten. Er hat sich gegen die Macht des katholischen Klerus und dann gegen die Bonner und Berliner Republik emanzipiert, quasi hochgeschunkelt. Kanzler/innen, Ministerpräsidenten, Papst, Propheten, Moscheebau, Abtreibung – über alle und alles darf hergezogen werden. Muslime dürften in eigenen Wagen auch die Ungläubigen verkackeiern. Wer das nicht erträgt und mit Gewalt beantworten will, darf nicht die Regeln bestimmen dürfen. Das wollen auch die Muslime nicht, die genau wegen dieser Regeln hier leben.

Das Festkomitee hätte es verdient, in einem eigenen Wagen vorgeführt zu werden. Karikaturisten wird dazu viel einfallen – irgendwas mit Umfallen und „Mir sin nit Charlie“ wahrscheinlich. Oder mit „Wacht am Rhein“.

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag