Was die Wahlplakate über Hamburgs Spitzenkandidaten und ihre Parteien aussagen

Wahlplakate sind an sich nichts, auf das man als Bürger sehnsüchtig wartet. Wenn sie dann da waren, also an den Straßen standen, schaute man in der Vergangenheit gezwungenermaßen und meist gelangweilt hin. Dieses Jahr ist das glücklicherweise etwas anders: Zumindest einige der Großplakate, die seit dem Wochenende in der Stadt zu sehen sind, machen Lust auf die Bürgerschaftswahl am 15. Februar – weil sich an ihnen ablesen lässt, dass es doch noch interessant und spannend werden wird in den kommenden Wochen.

Das liegt nicht unwesentlich an einer Frau, die schon bei der Wahl vor vier Jahren mit ihrer Werbekampagne für Aufsehen gesorgt hatte. Wobei es ungerecht wäre, Katja Sudings Regenmantel-Motiv von 2011 mit ihren heutigen Plakaten zu vergleichen, die deutlich substanzieller sind, die klare Botschaften und Bilder transportieren. Mag sein, dass andere Parteien in der politischen Sacharbeit besser sind: Was die PR angeht, hat Suding im wahrsten Sinne des Wortes die Nase vorn – auch, weil sie weiß, dass angesichts des personalisierten Hamburger Wahlrechts wenig so wichtig ist wie die Bekanntheit des eigenen Gesichts.

Kommt hinzu, dass sie, anders als die FDP auf Bundesebene, Hamburger Kernthemen verständlich herausarbeitet. Wozu die geschickte Strategie, die mit verschiedenen, zum Teil recht privaten Informationen aus dem Leben der Spitzenkandidatin flankiert wird, führt, ist jetzt noch nicht abzusehen. Fakt ist aber, dass die FDP völlig überraschend wieder ein ernsthafter Kandidat für den erneuten Einzug ins Hamburger Parlament ist. Mehr noch: Wenn sie den Sprung über die fünf Prozent schaffen würde, könnte Katja Suding möglicherweise in wenigen Wochen mit Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) über eine Koalition sprechen. Und da soll noch einer sagen, Wahlplakate brächten nichts ...

Dass die SPD in ihrem Wahlkampf flächendeckend auf Scholz setzen würde, war klar, alles andere wäre angesichts seiner Popularität auch seltsam. Dass die Sozialdemokraten sich aber trauen, in einer ersten Reihe von Großplakaten ihrem Kopf den selbigen abzutrennen, also Scholz nur etwa vom Kinn abwärts zu zeigen, ist ungewöhnlich und funktioniert. Man guckt hin, zumindest mehr als auf den wenig kreativen Slogan „Hamburg weiter vorn“. Da ist die „Mit-dir“-Reihe der Grünen erwartungsgemäß etwas frischer („Mit dir bleibt Hamburg grün“), das Großplakat mit den Spitzenkandidaten Katharina Fegebank und Jens Kerstan hat dagegen fast schon etwas Staatsmännisches. Zumindest nimmt man den beiden auf den ersten Blick ab, dass sie sich bereits Gedanken gemacht haben, wie das Leben als Hamburger Senatorin, beziehungsweise Senator denn so sein könnte.

Aber, zugegeben: Die Grünen sind neben den Linken die Partei, die sich um das eigene, in den Umfragen immer stabile Ergebnis weniger Sorgen machen müssen als um die Frage, wie denn die anderen abschneiden. Aggressiver Wahlkampf aus der Opposition ist deshalb nicht unbedingt nötig. Aber der ist selbst beim größten Gegner der regierenden SPD in diesem Jahr nicht angesagt. Die CDU hat einen handfesten Slogan („Hamburg kann mehr“), mit Dietrich Wersich einen deutlich besseren Kandidaten als vor vier Jahren und war so schlau, recht früh mit ihrem Wahlkampf anzufangen. Nun muss sie aber dringend neue und unbedingt auch etwas frechere Akzente setzen, wenn die anstehende Wahl nicht genauso enttäuschend wie die alte enden soll. Wer nach jüngsten Umfragen als zweitstärkste Partei rund 20 Prozentpunkte hinter der Nummer eins liegt, der hat wenig zu verlieren und sollte endlich richtig angreifen. Da kann die Oppositionspolitik von den Bundesliga-Fußballern des Hamburger SV lernen: Je weniger man nach vorn geht, desto geringer werden die Chancen, überhaupt mal ein Tor zu schießen.

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts