Die Gemeinschaftswährung ist in einer schlimmen Verfassung. Die Schweizer haben schon vor den Märkten kapituliert

AfD-Chef Bernd Lucke kann sich freuen, der Rest der Republik hat allen Grund für Sorgenfalten. Die Euro-Krise, sie ist nicht nur zurück, sie nimmt mächtig Fahrt auf. Die Gemeinschaftswährung leidet an Schwindsucht, der halbe Kontinent fürchtet einen nachhaltigen Preisverfall, die Griechen schicken sich an, Linkspopulisten zu wählen – und die Europäische Zentralbank muss mal wieder retten, was vielleicht kaum zu retten ist: den Euro.

In der vergangenen Woche hat der Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Union deutlich gemacht, die Europäische Zentralbank dürfe im großen Stil Anleihen kaufen. Bislang hatten die Notenbanker dieses Programm nur in Aussicht gestellt, jetzt nickt es der spanische Generalanwalt ab. Für die Schuldenstaaten im Süden ist das eine gute Nachricht, für die Finanzmärkte ohnehin. Wenn die Notenbanker Staats- und Unternehmensanleihen kaufen, drückt das die Zinsaufschläge und kann ein konjunkturelles Strohfeuer entfachen. Eine bittere Botschaft bleibt für den Steuerzahler in Europa – er wird eines Tages die Zeche zahlen müssen. Denn das Risiko landet erst bei der EZB und damit schlussendlich bei den Staaten und ihren Bürgern.

Nun wäre es vermessen, in eine Fundamentalkritik zu verfallen. Die Europäische Zentralbank ist Treiberin und Getriebene zugleich: Sie treibt ihre Politik immer weiter weg vom Geist der europäischen Verträge, die einstmals gewährleisten sollte, dass die Notenbank keine Staaten finanziert. Auf der anderen Seite ist sie Getriebene der Finanzmärkte. Schon einmal hatten Spekulanten den Euro fast in die Knie gezwungen, als EZB-Chef Mario Draghi im Juli 2012 mit einem Versprechen die Zocker in die Flucht schlug: „Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten“, sagte Draghi damals auf einer Investorenkonferenz in London. „Und glauben Sie mir, das wird ausreichen.“

Daraufhin explodierten die Börsenkurse, die Risikoaufschläge gingen zurück. Die Euro-Krise aber war nicht gebannt, sie wurde nur verdrängt – wie ein Loch in der Wand, das man mit einer Tapete überkleistert. Seit Donnerstag dürfte aber dem letzten Verdränger schlechter Nachrichten klar sein: Das Loch ist nicht weg, sondern die Krise wieder da: In einer Verzweiflungstat hat sich die Schweizer Nationalbank vom Euro gelöst, den Mindestkurs aufgegeben, die Exportwirtschaft und den Tourismus erschüttert und Buchverluste von schätzungsweise 60 Milliarden Franken in Kauf genommen. Wer das tut, muss verdammt pessimistisch sein. Pessimistisch wohlgemerkt für die Wertentwicklung der Gemeinschaftswährung. Denn Europa setzt massiv auf italienische Verhältnisse. Die Währung soll zur Weichwährung werden, um Exporte anzukurbeln und die Konjunktur zu stützen. Nach diesem Prinzip hat Italien über Jahrzehnte seine Wirtschaft stimuliert, mit der Einführung des Euro war es mit dieser Unterstützung vorbei.

Mario Draghi verwandelt die ganze Euro-Zone – mit ihren mickrigen Wachstumsraten, ihrem Reformstau und ihrer Investitionsschwäche wird längst ein Schuh draus – in ein großes Italien. Viele andere Optionen hat Draghi in Wahrheit nicht mehr. Und doch wird der kritische Beobachter den Eindruck nicht los, dass den EZB-Chef aus Rom bei seinem Handeln nicht nur seine Herkunft, sondern auch seine eigene Laufbahn prägt. Draghi ist ein Kind der Finanzmärkte. 2004 bis 2005 war er sogar Vice-Präsident bei Goldman Sachs. Das ist die Investmentbank, die einst tatkräftig mithalf, Griechenland mit komplizierten Währungsgeschäften zum Schaden Europas in den Euro zu schummeln. Also genau die US-Bank, die in Europa trotz dieser Geschäfte bislang ohne einen Cent Strafe weiterspekulieren darf, während in den USA zur Aufarbeitung der Finanzkrise kein Institut ungeschoren bleibt. Man muss nicht an Verschwörungstheorien glauben, aber wundern darf man sich.

Blickt man derzeit auf den Euro, sieht die Schweizer Flucht nicht mehr so irrational aus. Sie bleibt aber ein Wagnis mit ungewissem Ausgang. Wie hoch werden die Kosten, wie sehr schrumpfen Exporte und Einnahmen im Tourismus? Die Wirtschaftsprognosen sind schon gekappt worden. Und was gewinnen die Schweizer? Die Bilanz der Eidgenossen könnte vorrechnen, wie teuer ein Scheitern des Euro am Ende für die Deutschen würde.