Der Islamismus bedroht die Demokratie. Es wird Zeit, sich den Extremisten entgegenzustellen

Wie lange wird es dauern, bis wir zur Normalität zurückkehren nach diesen Anschlägen auf alles, was uns wichtig ist, auf alles, was richtig ist? Es macht Mut, dass große muslimische Verbände jetzt Farbe bekennen und sich klar gegen den Terror im Namen des Islam stellen. Es macht Hoffnung, dass endlich Debatten darüber geführt werden, woher dieser barbarische Hass rührt und wie man ihm begegnen kann. Es macht stolz zu sehen, wie Frankreich, diese große republikanische Nation, gegen den Terror zusammenrückt.

Aber wir sollten uns nicht blenden lassen – vermutlich werden schon in wenigen Tagen banale Aufgeregtheiten die substanzielle Bedrohung der Freiheit überblenden, deutsche Befindlichkeiten die Weltlage übertönen. Der Kabarettist Dieter Nuhr sagte: „Jetzt ist man wieder zwei Wochen lang entsetzt. Und dann ist man wieder islamophob, wenn man die Freiheit hochhält ...“

Schon jetzt verwundert, wie diese brutale Attacke auf alle Werte der Aufklärung von deutschen Politikern gedeutet wird. Offenbar ist das Entsetzen über die Anschläge bei einigen nur deshalb so groß, weil sie Rückenwind für Pegida oder die AfD befürchten. Dabei schrumpft die Dresdner Demonstration zu einer weltpolitischen Petitesse. Nur nicht für viele Politiker, sie planen weiterhin eifrig Gegendemos, als wollten sie eine Äquidistanz schaffen zu Islamismus und Islamkritikern gleichermaßen.

Bei aller richtigen Kritik an Pegida – die Fixierung auf dieses Dresdner Phänomen birgt eine seltsame Relativierung. Die freiheitliche Gesellschaft wird nicht durch friedliche Demonstrationen gefährdet, sondern durch den Terror, durch Anschläge auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Aber wir sind gefangen in einer deutschen Debatte. Wir denken in alten Freund-/Feind-Schemata, aber blenden die wirklich drängenden Fragen von Freiheit, von Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz aus. Die haben viel mit Islamismus zu tun. Das passt nur nicht ins Bild, das viele Deutsche von sich und den anderen haben.

Viele vermuten hinter jedem Angriff auf Juden Rechtsextremisten, hinter jedem Schwulenfeind einen Kleinbürger mit Hut und glauben, jeder Macho heiße Müller oder Meyer. Sie haben einige tektonische Verschiebungen in unserer Gesellschaft nicht mitbekommen. Die Freiheit schwindet tagtäglich. Diskriminierung von Frauen ist in muslimischen Parallelgesellschaften Alltag. Unser „Aufschrei“ aber drehte sich um Brüderles Altherrenwitze, nicht um den massiven Druck auf Mädchen, ein Kopftuch zu tragen. Gewalt gegen Schwule hat inzwischen viele Gesichter, vor allem ein islamistisches. Dazu schrieb die linksalternative „taz“: „Man weiß eigentlich auch, dass es in Berlin häufig junge Männer mit Migrationshintergrund sind, das soll man aber nicht sagen – in der Realität ist allerdings in dem von Übergriffen geplagten Schwulenviertel Berlin-Schöneberg eine nicht mehr wegzudiskutierende Türkenfeindlichkeit entstanden.“ Der Angriff auf einen Israeli in Kreuzberg zu Neujahr 2015 löste die klassischen Reflexe aus. Die Meldung „Streit um Lärm in der U-Bahn“ avancierte zwei Tage später zu einem Aufmacher in vielen Medien. Der „Tagesspiegel“ schrieb von einer „Gewalttat mit rechtsextremem Hintergrund“. Die Polizei betonte aber: „Laut Personenbeschreibungen durch das Opfer und von Zeugen sollen die Täter türkisch- oder arabischstämmig gewesen sein.“ Damit ließ das Interesse an der Nachricht rasch nach.

In einem klugen Artikel schreibt Ernst Hillebrand von der Friedrich-Ebert-Stiftung über das „linke Appeasement“ gegenüber der islamistischen Gefahr: „Die Linke hat tatenlos zugesehen, wie sich eine radikal freiheits-, gleichheits- und frauenfeindliche Ideologie in Europa breitgemacht hat. Zur wachsenden Gewaltbereitschaft dieser Bewegung hat sie – jenseits von Warnungen vor ,Verallgemeinerungen‘ – fast nichts zu sagen gehabt.“ Das gilt nicht nur für die Linke: Der Auftritt des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) am Tag nach den Anschlägen von Paris war gut gemeint und doch verstörend. Man stelle sich vor, der damalige Amtskollege hätte nach der Schleyer-Ermordung 1977 durch die RAF gesagt: „Jetzt kommt es vor allem darauf an, nicht linksfeindlich zu werden. Die Anschläge der RAF haben mit der sozialistischen Ideologie nichts zu tun.“

Hillebrand ist da weiter: „Wer die Faschisten sind, sollte spätestens seit dem 7. Januar klar sein. Man hätte es aber auch schon früher wissen können.“

Matthias Iken beleuchtet in seiner Kolumne jeden Montag Hamburg und die Welt