Jedenfalls für unsere Wirbelsäule, warnt ein Arzt. An das ständige Neigen des Kopfes beim Smartphone-Gebrauch hat die Evolution nicht gedacht

Eine Umfrage unter 1100 Benutzern hat ergeben, dass die Deutschen das Smartphone im Durchschnitt 81 Minuten pro Tag benutzen. Das könnte hinkommen: In der S-Bahn, am Arbeitsplatz, im Baumarkt und sogar an Straßenkreuzungen beobachte ich täglich, wie Menschen plötzlich in die typische S(martphone)-Haltung verfallen – durchgedrücktes Hohlkreuz, vorgeknickter Kopf und intensives Starren aufs Display. Sogar beim Gehen.

Ich dachte immer, die größte Gefahr dieser mobilen Kleincomputer sei die Ablenkung, weil Smartphone-Benutzer häufig gegen Türen und Laternenpfähle rennen oder Auffahrunfälle verursachen, während sie im Auto E-Mails checken oder SMS eintippen. Aber jetzt haben Mediziner herausgefunden: Unser Körper ist einfach nicht Smartphone-kompatibel. Statistiken zufolge verbringen wir nämlich mit 81 Minuten immerhin neun Prozent unseres Tagesablaufs in dieser merkwürdigen Kopf-Knick-Haltung (bei angenommenen 16 Stunden Wachzustand). Und die geht aufs Kreuz, warnt ein New Yorker Wirbelsäulenchirurg. Rechnen wir noch die tägliche Bildschirmstarre dazu, bei der viele Computer-Nutzer ihren Kopf stundenlang storchartig vorstrecken. Das alles belastet den Nacken und die Wirbelsäule stärker, als die Evolution es geplant hat.

Man glaubt ja kaum, wie schwer so ein Kopf ist, selbst bei den größten Dummbratzen. Aber der Kopf eines erwachsenen Menschen wiegt vier bis sechs Kilo. Die tragen wir seit den Zeiten des Homo erectus in gerader Aufrichtung. Darauf ist unsere Wirbelsäule geeicht, damit wir plötzlich nahende Säbelzahntiger oder Höhlenbären besser erkennen können (zwar mussten unsere Vorfahren auch auf am Boden lauernde Skorpione achten, aber offenbar nur kurz).

Fakt ist: Je weiter wir den Kopf nach vorn neigen, desto stärker wird die Wirbelsäule durch die Schwerkraft gedehnt und belastet.

Schon bei einer Senkung des Kopfes in einem Winkel von 15 Grad wirken etwa zwölf Kilo Gewicht auf die Halswirbelsäule, hat der New Yorker Chirurg errechnet. Wenn ich mich in einem 60-Grad-Winkel über das Smartphone beuge, wirken Kräfte von bis zu 30 Kilo auf meine Hals- und Nackenwirbel. Die Folge sind Verspannungen von Hals und Nacken und früher Verschleiß der von mir hier schon häufiger gewürdigten Bandscheiben.

So weit zu der Studie. Jetzt drängen sich natürlich Vergleiche auf: Gab es denn früher keine schädlichen Bewegungen? Vor 200 Jahren fand niemand etwas dabei, wenn Neunjährige schwere Fässer stemmten oder Steine klopften. Meine Großmutter stand noch in den 50er-Jahren mehrmals wöchentlich stundenlang über einen Waschzuber gebeugt und rührte in der siedend heißen Kochwäsche herum, bis sie eine Waschmaschine bekam. Arbeitsschutzgesetze und Mechanisierung haben die schlimmsten Belastungen abgeschafft, dachten wir (Arm- und Nackenmuskeln einer Supermarktkassiererin nach einer Sechsstundenschicht sind trotzdem nicht zu beneiden). Da wirkt es geradezu absurd, dass wir heute ausgerechnet in der Freizeit beim Telefonieren und Simsen Verrenkungen einüben, die völlig unnötig sind.

Aber es sind ja oft gerade die beiläufigen und unbewussten Gewohnheiten, die man am schwersten ablegt. Da kann die Autoindustrie noch so schöne ergonomische Komfortsitze entwickeln – manche Autofahrer kleben immer noch kurz vor der Windschutzscheibe, die Hände ums Lenkrad gekrallt.

Was Mediziner den Smartphone-Benutzern ans Herz legen, klingt auch noch nicht ausgereift: Das Gerät näher vors Gesicht heben und lieber die Augen senken als den Kopf. Gut, das kriegen wir hin. Aber geradezu absurd klingt dies: den Kopf von rechts nach links bewegen und das Ohr zur jeweiligen Schulter senken, um den Nacken zu lockern. Wenn Sie jetzt an der Ampel oder in der S-Bahn Menschen mit Smartphones sehen, deren Kopf wackelt wie ein Pumpenschwengel, wissen Sie: Die versuchen nur, ergonomisch zu telefonieren.

Wäre es im Sinne der Evolution nicht viel einfacher, das Smartphone mal ein paar Stunden auszuschalten?

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag