Eine neue Farbe wird nicht reichen – die Liberalen müssen Freiheit vorleben

Eigentlich sind es für die Liberalen denkbar gute Zeiten: In Berlin regiert eine Große Koalition dreier mehr oder minder sozialdemokratischer Parteien in Spendierlaune. Das erste Jahr des Bündnisses Merkel/ Gabriel/Seehofer war geprägt durch Großzügigkeiten in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Handlungsmaxime der Politik war allzu oft, was dem Wähler gefällt, nicht, was nachhaltig finanzierbar ist. Gerade bei Großen Koalitionen wuchs in der bundesdeutschen Geschichte der Widerspruch, die Lust auf Opposition: 2009 errang die FDP mit 14,6 Prozent der Stimmen so ihr bestes Ergebnis.

Tatsächlich sind die Zeiten für die FDP heute so schlecht wie nie vorher: In Umfragen hängen die Liberalen wie festgetackert bei zwei Prozent, in der öffentlichen Wahrnehmung finden sie seit ihrer Herauswahl aus dem Bundestag kaum noch statt, und die Sehnsucht nach liberalen Antworten befriedigen andere Parteien: Den nationalliberalen Flügel hat die AfD um Hans-Olaf Henkel besetzt, den sozialliberalen Flügel die Sozialdemokraten, die Bürgerrechte bewegen die Grünen, und mitunter lässt auch die Union noch ihr wirtschaftsliberales Erbe aufblitzen. Derart gestutzt und flügellahm taumelt die FDP dem Abgrund entgegen. Vielleicht werden schon bald Politologen über die Frage streiten, ob die Liberalen in der schwarzgelben Koalition politischen Selbstmord begangen haben – oder von einer gnadenlosen Union um Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in den Tod getrieben wurden. Sich als FDP auf Steuersenkung reduzieren zu lassen war töricht – dem kleinen Partner als Union keinerlei Steuersenkung zu gönnen politisch grausam.

Vielleicht aber kommt alles ganz anders. Totgesagte, das weiß der Volksmund seit Langem, leben länger. Und die Liberalen sind dem Teufel in ihrer bewegten Geschichte schon mehrfach von der Schippe gesprungen. Bei ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart zeigten sich die FDP und ihr Vorsitzender lebenshungrig. Christian Lindner hielt eine rhetorisch überzeugende Rede, auf einem Niveau, wie es abgesehen von Gregor Gysi und Sigmar Gabriel kaum noch jemand im Bundestag beherrscht. Der 35-Jährige vermochte zumindest einige Antworten auf die Frage zu geben, ob die Republik der Freien Demokraten noch bedarf. Lindner beschwor gleich mehrfach die Freiheit – ein Thema, das die Deutschen beim Bundespräsidenten Gauck lieben, in der Parteipolitik aber kaum bewegt. Zumal die FDP noch immer das Problem mit sich herumschleppt, Freiheit zu lange als Befreiung von individuellen Steuerlasten verstanden zu haben. Noch immer drücken die Fehler der vergangenen Jahre: Die Liberalen präsentierten sich mal als hippe Spaßpartei, dann als graue Partei der Besserverdiener, sie wirkte häufig wie eine Klientelpartei der Apotheker und zu oft als Partei der „sozialen Kälte“. Die durchaus selbstkritischen Passagen seiner Rede zeigen, dass Christian Lindner diese Fehler erkannt hat.

Die Freien Demokraten indes werden nur dauerhaft überleben, wenn sie ihre pathologische Fixierung auf das Thema Steuern überwinden, kluge Antworten auf drängende Fragen geben und sich aus der Gedankenstarre des Mainstreams zu lösen vermögen. Die Partei muss deutlich machen, dass sie die Ziele vieler Menschen teilt, aber eigene Wege dorthin weist: Gerechtigkeit etwa schafft man nicht durch Gleichmacherei, sondern durch Chancengleichheit; Integration gelingt nur durch Fördern und Fordern; Zukunft gewinnt man nicht mit Angst, sondern mit Lust auf Neues. Ob die neue Farbe Magenta der FDP neue Stimmen bringt, darf bezweifelt werden. Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht: Die CDU gewann einmal mit der neuen Wahlkampffarbe Orange 21 Prozentpunkte hinzu. Das war 2004 in Hamburg. Die FDP wäre schon mit fünf Prozent überglücklich.