Das Jahr 2015 wird Weichen stellen für die Zukunft Hamburgs – will die Stadt Weltmetropole sein, oder ist sie sich selbst genug?

Wenn ein neues Jahr beginnt, fasziniert die Zukunft besonders: Viele haben beim Bleigießen Figuren gedeutet, sich die Karten gelegt, Horoskope studiert. Offenbar ist der Drang, das Morgen schon heute zu fassen, extrem ausgeprägt. Für Politiker gilt das auch – den Terminkalender des US-Präsidenten Ronald Reagan bestimmten beispielsweise nicht die Weltläufte, sondern die Gestirne. Wir wissen nicht, ob auch der Senat dieser Tage Astrologen konsultiert oder eine Kartenleserin im Senatsgehege vorbeischaut. Es würde aber kaum zum selbst erklärten Anspruch des ordentlichen Regierens passen.

Ohnehin bedarf es keiner Glaskugel, um zu wissen: 2015 wird für die Hansestadt extrem wichtig – es wird ein Jahr der Weichenstellung. Die Bürgerschaftswahl 2015 ist nur ein Aspekt. Immerhin entscheiden alle Hamburger am 15. Februar darüber, wer bis zum Jahr 2020 im Rathaus regieren darf. 2020! Das hört sich nach Science-Fiction an und lehrt einige das Fürchten. Sogar Hamburgs Wirtschaft setzt da lieber auf die Gegenwart und warnt vor Experimenten: Industrieverbandschef Michael Westhagemann überraschte im September, zu diesem Zeitpunkt übrigens noch Vorstand im CDU-Wirtschaftsrat, mit der Aussage, Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) müsse auch nach 2015 weiter allein regieren. Und die Generalkritik des Handelskammer-Präses Fritz-Horst Melsheimer vor der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ glich zu Silvester in weiten Teilen eher einer Liebeserklärung an den Bürgermeister.

Zugleich sprach Melsheimer zwei Punkte an, die weit über das Jahr 2020 hinausweisen und eines Tages in den Geschichtsbüchern der Stadt als Meilensteine Einzug finden dürften. Das mittlerweile zwölf Jahre andauernde Verfahren zur Elbvertiefung, eine einzigartige Wohlstandskafkaeske, steht 2015 endgültig vor der Entscheidung. Wenn nichts dazwischenkommt. Der Hafen, Antrieb und Motor der Wirtschaft der Stadt, blickt gebannt nach Luxemburg. Der Europäische Gerichtshof muss darüber befinden, ob die Fahrrinnenanpassung den Buchstaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie genügt. Das Urteil wird nicht nur den Weg weisen, welche Infrastrukturprojekte im krisengeschüttelten Europa noch möglich sind, sondern auch über die Zukunft des Hamburger Hafens entscheiden. Bleibt er einer der wichtigsten Anlaufpunkte in Europa, oder wird er langfristig zum Regionalhafen schrumpfen?

Quo vadis, Hamburg? Diese Frage werden uns die Luxemburger Richter nicht abnehmen, diese Antwort werden die Hamburger in diesem Jahr selber geben müssen. Ob 2024 oder wahrscheinlicher 2028 die Jugend der Welt Olympische Sommerspiele an Elbe, Bille und Alster feiert, hängt vor allem von uns ab. Die Debatte über Olympia oder Nolympia nimmt an Fahrt auf. Trotz aller Sorgenfalten angesichts entgleister Großprojekte wie Elbphilharmonie oder BER, trotz verständlicher Vorbehalte gegenüber dem IOC, trotz aller berechtigter Einwände wächst die Begeisterung. Sie wird getragen von vielen Bürgern, Künstlern, Sportlern, Unternehmern, sie bricht sich Bahn in Ideen wie dem Stadionbau im Miniaturformat oder der Aktion unter www.dabeiseinistalles.hamburg. Hamburg hat Feuer gefangen, ist wieder Feuer und Flamme.

Dieses Mal kommt es, anders als bei der gescheiterten Bewerbung 2003, wirklich auf alle Hamburger an, auf die Begeisterung in der Stadt. Werden wir bei der Umfrage des Deutschen Olympischen Sportbundes Bedenken tragen oder eine Bewerbung der Hansestadt bejahen – ein bisschen mehr als in Berlin und als die 53 Prozent vom Herbst dürfte es schon sein. Werden wir im Falle eines stadtweiten Referendums diese Bewerbung unterstützen? Wird sich Hamburg den Ruck zum Ja geben, wo doch der Zeitgeist grundsätzlich lieber dagegen ist? Mehr noch als in allen anderen Entscheidungen des Jahres 2015 liegt hier die wahre Weichenstellung für die kommenden Jahrzehnte.

Will diese Stadt Weltmetropole sein, oder genügt sie sich selbst, begnügt sich als hübsch anzuschauendes Oberzentrum im Norden? Wird Hamburg wie Barcelona eine Stadt von Weltrang oder eher wie Bamberg eine Schönheit vom Lande? Versteht sich Hamburg als Tor zur Welt oder als Pforte zur Provinz? 2015 fällt die Antwort – es wird unsere Antwort sein.