Fürchtet euch nicht! Die wichtigste Weihnachtsbotschaft sendet der Engel

Beim weihnachtlichen Krippenspiel gibt es eine Rolle, die besonders einfühlsam besetzt werden will – denn sie verträgt keine leisen Darsteller. Nein, es sind nicht Maria und Josef, die in den meisten Fällen eher still und andächtig daherkommen. Auch nicht der Wirt, der sie murrend-knurrend abweist. Die wichtigste Sprechrolle ist – der Engel. Denn der ruft die wichtigsten Worte der Weihnachtsgeschichte: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren.“

Fürchtet euch nicht! Vielleicht muss dieser Satz heute besonders laut gerufen werden. In vielen Gesprächen, die ich als Bischöfin führe, höre ich, wie sich die Menschen nach Veränderungen sehnen, nach Segen und Frieden. Und wie sie sich um die Zukunft sorgen. Ist doch zutiefst erschreckend, in wie vielen Ländern derzeit Krieg, Bürgerkrieg und Terror herrschen, und dies mit einer dermaßen exzessiven Gewalt! Angst macht der unerklärte Krieg im Osten Europas – und was daraus werden mag. Angst macht, dass das internationale Finanzsystem so instabil geworden ist. Und dass es noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg so viele Flüchtlinge gab wie heute.

Doch ich will hier nicht die Schlagzeilen der letzten Wochen aufzählen. Denn die Chefredaktion des Hamburger Abendblatts hatte ja ihre Gründe, warum sie uns Bischöfen ihre Sessel angeboten hat – vielen Dank dafür! Es geht um einen Perspektivwechsel. Um das Gegenprogramm zur Angst. „Fürchte dich nicht“ – das ist die Überschrift. Und zugleich das Geheimnis des Weihnachtsfestes: Es stellt die Freude des Glaubens gegen die Macht der Furcht.

Seit gut 2000 Jahren wird die alte Geschichte immer wieder neu erzählt. Jede Zeit, jede Generation hat ihre neuen Fragen, Ängste, Sehnsüchte. „Dieses Kindlein legt Gott nicht allein der Mutter in den Schoß, sondern dir und mir“, sagt Martin Luther. „Er soll dein eigen sein; du sollst sein genießen, und alles, was er hat im Himmel und auf Erden, das soll dein sein.“ Weihnachten genießen, weil nicht nur die Festbräuche schön sind, sondern auch die Geschichte vom Gotteskind immer wieder durchschimmert – das ist ein Trost. Daraus erwächst eine Haltung: Freude ermutigt zum couragierten Handeln, die Angst hingegen ist ein schlechter Ratgeber.

Das zeigen die Aufmärsche der sogenannten Pegida. Deren Teilnehmer kultivieren ihre Ängste und Vorurteile: Die Furcht vor Flüchtlingen, vor dem Islam, vor Kriminalität und vor den Medien. Gutes erwächst daraus nicht. Vermutlich ist es kein Zufall, dass sie besonders dort Zulauf haben, wo die Entchristlichung der Gesellschaft weit fortgeschritten ist. Denn wer im eigenen Glauben verwurzelt ist, braucht im Glauben der anderen keine Gefahr zu sehen.

Die Hamburger sind vielleicht nicht die eifrigsten Kirchgänger. Aber viele wissen noch, was zum Kernbestand christlicher Tradition gehört: dass Jesus unter ärmlichsten Bedingungen zur Welt kam, dass Josef und Maria zu Flüchtlingen wurden, dass Gott ein besonderes Herz für die Armen und die Außenseiter hat. Die meisten Menschen sind zumindest darauf ansprechbar.

So prägt seit jeher bürgerschaftliches Engagement diese Stadt. Man will anderen helfen, gerade auch Flüchtlingen. Viele sind in beeindruckender Weise bereit zu teilen – Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld, Geld. Berührt durch die Not entdecken die Menschen alte Werte wie Nächstenliebe und Solidarität ganz neu. In Kirchengemeinden geschieht das genauso wie in Stadtteilinitiativen, Sportvereinen und Unternehmen.

„Fürchtet euch nicht!“ Aus dieser Haltung heraus leben wir hier in Hamburg auch ein besonderes Verhältnis der Religionsgemeinschaften. Seit vielen Jahren trennen wir die Kinder in der Schule nicht nach Konfession und Religion, sondern lassen sie gemeinsam den Glauben der jeweils anderen kennenlernen und erfahren. Wir stehen gemeinsam auf gegen Hass und Gewalt und gegen religiösen Fanatismus. Um hier in der Stadt den Frieden zu wahren.

So wie im Sommer beim gemeinsamen Friedensgebet vor der Blauen Moschee an Hamburgs Außenalster. Es war ein Wagnis, aber dank einer langen interreligiösen Gesprächskultur möglich. Alle standen zusammen: der katholische Diözesanadministrator und die evangelische Bischöfin, der jüdische Landesrabbiner, der sunnitische Imam, der schiitische Ajatollah.

Gemeinsam mit vielen Hamburgern betete jeder in seiner Sprache, in seiner Tradition. Schalom. Salam. Ich will es nicht überhöhen – wir sind alle sehr unterschiedlich. Aber uns einte die Überzeugung: Wir verwerfen den Krieg und die Gewalt. Wir verurteilen, dass dafür der Name Gottes missbraucht wird. Und wir wissen, dass wir als Religionsgemeinschaften zusammenstehen müssen, damit der Frieden hierzulande bewahrt bleibt.

„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren.“ Wenn am Heiligen Abend dieser Ruf erklingt, von kleinen und großen Engeln gesprochen, dann ist das eine einzige Ermutigung: Haltet fest an der Verheißung einer besseren Welt, in der kein Mensch wegen seines Glaubens oder seiner Hautfarbe verfolgt wird, in der niemand dazu gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen. Habt keine Angst vor der Zukunft. Und bewahrt die Tradition, die euch das lehrt.

Die Autorin ist Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck