Die Grünen in der Wirklichkeit. Früher lehnten sie sogar die Landesverteidigung ab, heute wollen sie die Bundeswehr gegen den IS einsetzen

Was Krieg und Frieden betrifft, haben es sich die Grünen bei ihrem Hamburger Parteitag nicht leicht gemacht. Ein in Stein gemeißelter Grundsatz „Waffenlieferungen in Krisenregionen halten wir für falsch“ fand keine Mehrheit, Waffenlieferungen an die Kurden im Irak lehnten die Grünen zwar ab, respektieren aber abweichende Entscheidungen aus Gewissensgründen. Einen möglichen Bundeswehr-Einsatz gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ wollen die Grünen befürworten, wenn ein Uno-Mandat dazu vorliegt, denn ein „gemeinsames, effektives Vorgehen“ zum Schutz der Zivilbevölkerung erachten sie für längst überfällig. Auch in der Syrien-Frage wollen die Grünen ihre Zustimmung zu „friedenserzwingenden Maßnahmen“ nicht ausschließen – zur Not nach Beschluss der Uno-Generalversammlung, falls der Sicherheitsrat weiter von Russland und China blockiert wird.

Das sind schon grundsätzlich andere Positionen verglichen mit dem ersten Parteiprogramm von 1980. Damals wollten die Grünen die Nato und den Warschauer Pakt sofort auflösen, „einseitig abrüsten“ und die Bundeswehr abbauen. Im „Friedensmanifest“ 1981 lehnten sie einen Einsatz der Bundeswehr sogar für den Fall ab, dass die Bundesrepublik angegriffen würde. Bei der Bundestagswahl 1987 wiederholten sie: „Wir müssen raus aus der Nato, weil es mit ihr keinen Frieden geben kann.“

Was sich seither geändert hat, bezeichnen die einen als Zugeständnis an die Macht und die anderen als Reifungsprozess. Während grüne Pazifisten noch davon träumten, Konflikte könnten künftig politisch und diplomatisch gelöst werden, sahen andere in der Totalverweigerung ein Hindernis für mögliche Koalitionen. Petra Kelly, die Ikone der Pazifisten, sah die Spaltung kommen: Für Realos sei die Nato „plötzlich fast ein Friedensbündnis“, warnte sie. „Das bedeutet die Preisgabe gewaltfreier Politik.“

Der Krieg, er ist nicht tot, er schläft nur, sang Rio Reiser und ahnte gar nicht, wie recht er behalten sollte. Der Kosovo-Krieg brachte die erste Zerreißprobe. 1998, ein Jahr vor den Nato-Luftangriffen auf Jugoslawien, stritt der Magdeburger Grünen-Parteitag darüber, ob man aus dem Programm-Satz „Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab“ die „militärische Friedenserzwingung“ streichen sollte. Das war ein Signal an die SPD, gleichzeitig aber auch ein Zugeständnis an die linke Basis: Immerhin war man ja noch gegen Kampfeinsätze. Die Streichung wurde mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. Dennoch sahen Fundis wie Jutta Ditfurth die Grünen bereits auf dem Weg zur „Kriegspartei“: Das Kosovo sei mit Joschka Fischers Hilfe zum Übungsgelände für die „Gewöhnung der bundesdeutschen Bevölkerung an Kriege“ geworden, schreibt Ditfurth heute.

Haben wir uns an Kriege gewöhnt? Jein. Das allzu glatte Einscheren in militärische Aktionen ist in Deutschland einfach unpopulär. Zumal sich im Kosovo, in Afghanistan, im Irak und in Libyen gezeigt hat, dass militärisch vielleicht ein Aggressor gestoppt werden kann, aber keine Stabilität und keine dauerhaften demokratischen Strukturen geschaffen werden. Zum anderen aber erfordert die Weltlage heute neue Antworten, militärische wie friedenspolitische. Im Nahen Osten hat der militante Islamismus zu einem Flächenbrand geführt, der auch die Länder des Arabischen Frühlings bedroht. In welchen der zahlreichen Konflikte sind humanitäre und friedenssichernde Einsätze sinnvoller als militärische? Wo sind diplomatische Initiativen und wirtschaftlich-technische Aufbauhilfen die beste Vorbeugung gegen einen Krieg? Das sind nicht die einzigen Fragen. Wie will Deutschland eigentlich als weltweit drittgrößter Waffenexporteur den Frieden sichern? Was schulden wir den Verbündeten und was nicht? Und was kann die Bundeswehr leisten, die seit 2011 eine Freiwilligenarmee mit enormen Nachwuchssorgen ist?

Es ist gut, wenn eine Partei sich diesen hässlichen, unbequemen Grundsatzfragen unserer Zeit stellt. Der Grundsatz „Nie wieder Krieg“ ist wichtig und lobenswert, aber er ist leider keine ausreichende Antwort. Das haben die Grünen auf ihrem Hamburger Parteitag verstanden.