Soziale Missstände fangen oft im Alltag an unseren Schulen an. Leider regen wir uns darüber am wenigsten auf

Am vergangenen Mittwoch zog die GEW als Mitorganisator des „Bündnisses gegen den Rotstift“ klagend durch Hamburgs Straßen und prangerte Sozialabbau an. Die Ver.di-Chefin Sieglinde Frieß empörte sich bei der Demonstration über „Pullover fast zum Preis eines Kleinwagens“, während in Hamburg jedes fünfte Kind arm sei. In der Tat, das eine wäre obszön, das andere ist ein Skandal. Aber es ist ein schönes Beispiel, sich über die Pullover der anderen zu erregen und die eigenen Sachen auszublenden.

Es gibt nämlich einen Skandal, der viel mit Ungerechtigkeit, Maßlosigkeit und Kinderarmut zu tun hat – und an Hamburgs Schulen spielt. Hier regen sich allerdings weder die GEW noch die Hundertschaften omnipräsenter Bildungsexperten auf. Bei Klassenfahrten gibt es längst ein Wettrüsten, das tatsächlich obszöne Züge angenommen hat. Man möchte nicht mit dem Kleinwagen kommen, aber einen Gebrauchtwagen gibt es schnell zum Preis einer Klassenreise. 1350 Euro kostete beispielsweise der Trip von Zehntklässlern aus den Walddörfern nach Südafrika.

Ein extremes Beispiel, aber kein Einzelfall. Früher fuhr man nach St. Andreasberg, Berlin oder Föhr. Heute jetten die fliegenden Klassenzimmer nach Griechenland, England, Italien. Das muss nichts Schlechtes sein. Reisen bildet, im Ausland lernen die Schüler nicht nur, Fremdsprachen anzuwenden, sondern auch, sich in fremden Kulturen zurechtzufinden.

Allerdings steigen die Kosten mit jedem Kilometer. Und da beginnt es spannend, ja schwierig zu werden. Reisen in der Mittelstufe kosten gern über 400 Euro und steigen bei Flugreisen bis ins Vierstellige. Dabei hat die Bildungsbehörde die Höchstbeträge pro Schüler – inklusive Unterkunft, Verpflegung, Fahrgeld, Nebenkosten, Taschengeld – eigentlich klar definiert: In der Grundschule liegt der Deckel bei 200 Euro, in den Klassen 7 bis 10 bei 300 Euro, und selbst in der Sekundarstufe II bei 350 Euro. Nur hält sich nicht jeder daran. Ganz im Gegenteil sind besonders extravagante Reisen ein Wettbewerbsvorteil im Kampf um die Schüler geworden. Da wird mit Austauschprogrammen in fremde Gefilde geworben, ob nach Barcelona oder gleich auf fremde Kontinente. Und der Trend geht zur voll organisierten Jugendreise, die Schulen all-inclusive buchen. Selbst organisieren, am besten noch mithilfe der Schüler, das war gestern.

Offenbar glauben Lehrer wie Eltern, die Qualität einer Reise wüchse mit der Entfernung. Das darf bezweifelt werden – Klassenfahrten sind eben nicht Meyers Weltreisen für Minderjährige, sondern dienen pädagogischen Zielen: Die Klassengemeinschaft soll gefestigt werden, Schüler außerhalb ihres Alltags neue Herausforderungen meistern, fürs Leben lernen: Das muss nicht unbedingt auf der Via Appia geschehen, das geht vielleicht sogar besser im Kanu auf der Müritz; Abenteuer versprechen nicht nur Freizeiten im Jugendgästehaus in Berlin, sondern auch im Zelt an der Ostsee.

Billiger ist das – und sozialer. Vermutlich sogar zielführender. Ich erinnere mich als Zeltlager-Leiter an einen Zwölfjährigen, der Rotz und Wasser heulte, weil er die Ferienfreizeit im touristisch eher abseitigen Wallenhorst bei Osnabrück früher verlassen musste. Sein schweres Schicksal: Die Eltern fuhren mit ihm anschließend nach Florida.

„Ein weit entferntes, teures Ziel ist kein Garant für eine gelungene Studienreise“, heißt es in der Schulbehörde. Auch viele Normalverdiener sind nicht in der Lage, mal eben ein paar Hundert Euro für die Klassenreise hinzublättern, vor allem wenn mehrere Kinder auf Tour gehen. Weil Eltern ihrem Nachwuchs eine solche Fahrt nicht verwehren wollen, knapsen sie die Reisekosten irgendwo ab. Zum Schulverein gehen viele nicht; und für Hartz-IV-Empfänger zahlen die Behörden nur bis zu den Höchstgrenzen. „Reguläre Klassenfahrten müssen für jeden bezahlbar sein“, betont die Schulbehörde.

Das wäre doch ein guter Ansatz auch für die Gewerkschaften, Lehrern bei sozial verträglichen Klassenfahrten zu helfen. Leider findet man auf der Homepage der GEW nur die – sicherlich berechtigten – Klagen („Daueranspannung für Lehrkräfte“), Klagehilfen zur Reisekostenerstattung und Kritik an geizigen Behörden. Wenn es um Preise geht, ploppt nur der Hinweis zu „chronisch unterfinanzierten Reisekostenbudgets“ auf. Da geht noch was.

Matthias Iken beleuchtet in seiner Kolumne jeden Montag Hamburg und die Welt