Die Lokführer streiken sich ins Abseits – und schaden so allen Gewerkschaften

Wenn das Bild nicht so abgegriffen wäre, hier würde es passen. Die Lokführergewerkschaft GDL mit ihrem Chef Claus Weselsky und die Bahn rasen seit Wochen wie zwei Schnellzüge aufeinander zu. Während auf der Arbeitgeberseite zuletzt Bemühungen erkennbar waren, das Gleis zu wechseln oder zumindest das Tempo zu drosseln, legt Weselsky noch eine Schippe drauf. Er will die Konfrontation; die GDL ist auf Amokfahrt. In diesem Tarifkonflikt, der in Wahrheit ein Machtkampf ist, nun vier Tage die Arbeit niederzulegen, zeugt von grandioser Selbstüberschätzung und minimalem Geschick zugleich. Weselsky verspielt alle Sympathien – und wohl jede Chance auf einen Sieg.

Natürlich wird weder die Deutsche Bahn noch die Konjunktur gleich an diesem Ausstand zerbrechen. Es gehört zum rhetorischen Kriegsgeheul, mögliche Schäden zu überhöhen, um Druck aufzubauen. Die wütenden Kunden, die heute in den Überlandbus gezwungen werden, dürften nächste Woche wieder Bahn fahren, die Unternehmen mit ihren Waren auf die Schiene zurückkehren – wenn der Streik nur Episode bleibt. Tarifkonflikte sind immer auch Schaugefechte um die Gunst der Gesellschaft. Bislang hatten es die Lokführer relativ leicht, weil sie im Heimatland von „Jim Knopf“ um die Sympathie vieler Fahrgäste wussten. Auch in den ersten Tagen des Ausstands stieß die GDL auf überraschend viel Verständnis bei ihren Kunden. Damit dürfte es jetzt vorbei sein.

Der 100-stündige Streik der GDL ist nur noch eins: Maßlos und unsolidarisch. Weselsky geht es nur vordergründig um die Interessen der Lokführer; über deren Lohn oder Arbeitszeiten wollte er bislang gar nicht verhandeln. In Wahrheit greift er nach der Macht auf der Schiene. Weselsky will auch das übrige Zugpersonal vertreten, obwohl dieses mehrheitlich über die Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft organisiert ist.

Die Aggressivität in seiner Streikstrategie soll ihm dabei helfen. Genau hier liegt der Skandal: Ein Gewerkschafter will eine andere Gewerkschaft schwächen – und nimmt dafür Arbeitgeber und Kunden als Geisel. Warum der Deutsche Beamtenbund dieses unsolidarische Vorgehen aus der gemeinsamen Streikkasse finanziert, wird er nicht nur seinen zahlenden Mitgliedern erklären müssen. Die GDL möchte, das in Zukunft gleiche Berufsgruppen verschiedene Tarifverträge bekommen und gefährdet damit die Tarifeinheit in Deutschland. Kurzfristig mag sich das auszahlen, langfristig wird die Zersplitterung nur den Arbeitgebern in die Hände spielen.

Die Wut vieler Arbeitervertreter wächst. Der DGB zeigt sich entsetzt über Weselskys Kompromisslosigkeit, die IG Metall fürchtet um den guten Ruf der Gewerkschaften in Deutschland. Weselsky allerdings ist mit Argumenten kaum noch zu erreichen. Er sieht sich als Opfer einer medialen Hetzkampagne – eine drollige Sichtweise der Dinge. Schuld sind in der Welt des Sachsen immer die anderen.

Vermutlich können nur die Lokführer ihren Chef zurückpfeifen – oder die Republik muss bis zum Scheitern des Streiks an der Seite der Bahn durchhalten. Teuer wird es ohnehin: Ein langer Arbeitskampf würde die Bahn doch massiv treffen und Verkehr dauerhaft auf die Straße verlagern, er würde auch die Wirtschaft, die auf reibungslosen Transport angewiesen ist, nachhaltiger beeinträchtigen. Immens aber wäre der Schaden für den ganzen Standort, wenn die Republik in Zukunft von mehreren Minigewerkschaften mit geltungssüchtigen Chefs drangsaliert würde.

Immerhin will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) dem verrückten Treiben der Einzelgewerkschaften nun ein Ende setzen. Wer bislang darin ein Angriff auf das Streikrecht sah, wird nach dem längsten Streik in der Geschichte der Bahn vermutlich anders denken. Claus Weselsky streikt sich und die GDL aufs Abstellgleis.