Der Franzose Pierre Moscovici soll in den wettbewerbsschwachen EU-Staaten Finanzreformen vorantreiben. Wird der Saulus zum Paulus?

Macht der neue Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, Ernst? Es scheint so. Die Kritik an der Politik der EU war ja auch übermächtig geworden: Wo dringend EU-weit gehandelt werden müsse, gehe nichts voran; stattdessen verliere sich die EU mit Klein-Klein-Vorschriften in einem Regulierungsfetischismus. Ganz falsch war diese Kritik bislang sicher nicht.

Schon die neue Struktur, die Juncker der 28-köpfigen EU-Kommission – aus jedem Mitgliedstaat ein Kommissar – verpasst, lässt aufhorchen:

Erstens wird es neben ihm einen „Ersten Vizepräsidenten“ geben, der für „bessere Regulierung“ und Subsidiarität zuständig ist. In einem offiziellen EU-Dokument wird er unverblümt als „Wachhund“ für die übrigen Kommissare bezeichnet. Er soll dafür sorgen, dass die EU nur noch das regelt, was national nicht gestemmt werden kann, etwa weil es um grenzüberschreitende Probleme geht.

Zweitens wird es sechs weitere Vizepräsidenten geben, die jeweils ein großes Schwerpunktthema koordinieren sollen. Das sind, neben Außenpolitik und EU-Haushalt: „Energie-Union“, „Beschäftigung Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit“, „Euro und sozialer Dialog“ sowie „Digitaler Binnenmarkt“.

Drittens wird es nur noch 20 – statt bislang 27 – Fachkommissare geben, die für einen ganz bestimmten Bereich zuständig sind: der Brite Jonathan Hill etwa für die Finanzmarktregulierung. Die Fachkommissare werden den Vizepräsidenten ja nach Aufgabengebiet zugeordnet. Manche haben mehrere Vizepräsidenten vor sich.

Neu ist auch: Der zuständige Vizepräsident hat ein Vetorecht, wenn er ein Vorhaben eines Fachkommissars für falsch oder überflüssig hält.

Dies ist, zumindest in der Theorie, ein wichtiger Baustein gegen die bisherige Überregulierungstendenz in der EU: Zum einen gibt es statt 27 nur noch 20 Kommissare, die sich mit neuer Regulierung zu profilieren trachten; zum anderen gibt es mit dem Ersten Vizepräsidenten und den normalen Vizepräsidenten gleich zwei Instanzen, die sich profilieren können, indem sie Überregulierung verhindern.

Also alles eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Bei der Personalfrage, welcher Politiker welchen Posten übernehmen soll, herrschen Licht und Schatten – vor allem auf einem Gebiet:

Für die EU ist von existenzieller Bedeutung, ob es gelingt, die Probleme der Euro-Zone zu lösen. Eine Schlüsselrolle haben hier Frankreich und Italien, deren marode Volkswirtschaften dringend wieder wettbewerbsfähig und deren Staatsfinanzen dringend saniert werden müssen. Hierfür sind grundlegende Reformen unverzichtbar.

Als Fachkommissar, der die Mitgliedstaaten auf solche Reformen verpflichten soll, hat Juncker Pierre Moscovici nominiert. Der war bis vor Kurzem französischer Finanzminister und ist vor allem dadurch aufgefallen, dass er sich gegen Reformen und die Haushaltssanierung gestemmt hat. Jetzt soll er die Reformempfehlungen für die wettbewerbsschwachen Länder formulieren und gegen jene Mitgliedstaaten ein Sanktionsverfahren einleiten, die die EU-Vorschriften für solide Staatshaushalte brechen. Wird er das tun?

Hier kommt die neue Struktur der Kommission ins Spiel. Vizepräsident für Wettbewerbsfähigkeit soll Jyrki Katainen aus Finnland werden, Vizepräsident für den Euro Valdis Dombrovskis aus Lettland. Beide sollen Moscovici auf die Finger schauen. Und beide sind überzeugte Reformer. Hier drohen Konflikte. Wer wird sich durchsetzen? Zwar hat jeder Vizepräsident ein Vetorecht gegen Vorhaben des Fachkommissars. Doch im vorliegenden Fall spielt das weniger eine Rolle. Denn wenn Moscovici sich weigert, Frankreich rigide Reformen zu empfehlen oder ein Sanktionsverfahren einzuleiten – zwingen können sie ihn nicht dazu.

Die Konsenskultur in Brüssel wird sicher einen großen Showdown verhindern. Herauskommen könnte vielmehr ein politischer Kompromiss: ein bisschen Reformen, aber nur so viel, dass sie nicht wirklich wehtun. So werden freilich die maroden Länder nicht gesunden können.

Aber vielleicht wandelt sich ja Moscovici auch noch vom Saulus zum Paulus. Immerhin hatten viele dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 auch nicht zugetraut, die wettbewerbsschwache deutsche Volkswirtschaft – damals in Frankreich und Italien als „rote Laterne der EU“ verspottet – mit grundlegenden Reformen wieder auf Kurs zu bringen.