Mauerbau, Schießbefehl, Todesstreifen – wie einige in der Linkspartei die DDR trotzdem zum Wohlfühlstaat umdichten

Ach, wenn es doch immer so einfach wäre wie im Kapitalismus. 1991 wurde aus dem Schokoriegel Raider der Schokoriegel Twix: Mit der Umbenennung wollte die Firma Mars nicht nur weltweit einen einheitlichen Namen durchsetzen, sondern auch alle möglichen Anklänge ausmerzen an die berüchtigten „Raider“ von der Wall Street, die heuschreckengleich Unternehmen plünderten und fledderten. Auch Gregor Gysi, der Übervater der Linken, würde gern einen neuen Namen für die verblichene Diktatur DDR finden – ein „Unrechtsstaat“, ließ er nun per „Super Illu“ verlauten, sei die Deutsche Demokratische Republik jedenfalls nicht gewesen. Was war er dann – ein Wohlfühlstaat? Ein Arbeiter- und Bauernparadies? Karibischer Kommunismus ohne Fidel Castro und Sonnenschein?

Offenbar darf man 25 Jahre nach dem Mauerfall Geschichtsklitterung betreiben. Wenn das so weitergeht, wird die Mehrheit der Deutschen den Mauerfall in 25 Jahren vermutlich als Sieg des Sozialismus mit folgerichtigem Rückbau des antifaschistischen Schutzwalls feiern. In den vergangenen Jahren verschob sich das Bild des Unrechtsstaates zwischen Oder und Elbe hin zu einem Zerrbild eines etwas verschrobenen, aber doch recht liebenswürdigen Staatsexperiments auf deutschem Boden. Gut, die Wasserhähne in Wandlitz waren geschmacklos, und die sozialistische Führungsmannschaft glich eher einem Methusalem-Komplott, aber sonst fällt das Urteil der Geschichte inzwischen gnädig aus. Es war nicht alles schlecht, finden inzwischen sogar die Populisten der Alternative für Deutschland – mehr innere Sicherheit, noch mehr grüne Pfeile, Theater in allen Städten und 100-Prozent-Recyclingquote reichen so manchem schon, die DDR zu verklären. Längst lässt sich mit dem Erbe des Kommunismus im Kapitalismus obsiegen: Der Bioladen im Osten nennt sich LPG, die Kultkneipe Warschauer Pakt; blaue Hemden und sozialistische Orden sind der letzte Schrei.

Während sich die Altnazis in der Bundesrepublik (und im Osten) nach ihrer totalen moralischen Niederlage zumindest in der Öffentlichkeit geläutert gaben, wünschen sich in der Linkspartei einige schon wieder unverstellt das Vergangene zurück. Entsprechend wütend fällt die Debatte über den „Unrechtsstaat“ aus. Die Thüringer Landtagsabgeordnete Ina Leukefeld empört sich und will „diesen Kampfbegriff nicht akzeptieren“. Mit Kampf kennt sich die Linken-Politikerin seit Jahrzehnten aus. In den 80er-Jahren hatte sie als „IM Sonja“ Ausreisewillige und Jugendliche bespitzelt. Wie einige orthodoxe Linke und Klassenkämpfer diesen grotesken Überwachungsstaat mit Schießbefehl, politischer Verfolgung und Todesstreifen plötzlich aus der Mottenkiste der Geschichte hervorzaubern und zum schicken Modeaccessoire umdeuten, ist tollkühn. Aber erfolgreich: Einer „Focus“-Umfrage zufolge halten nur 28 Prozent der Linken-Wähler und 30 Prozent der Ostdeutschen die DDR heute für einen Unrechtsstaat.

Das ist geschichtsvergessen. Während das 1000-jährige Reich völlig zu Recht stets als Tragödie daherkommt, erscheint der real existierende Sozialismus inzwischen in Funk und Fernsehen oft als schräge Komödie. Wenn überhaupt. Wer oberflächlich durchs Leben geht, begegnet ihm kaum. Zumindest im Westen. Selbst Berlin hat seine Geschichte, die Narben der Teilung, konsequent überschminkt. Die Mauer ist aus dem Stadtbild verschwunden – nur einige wenige Stellen erinnern an die Ungeheuerlichkeit einer Idee, ein ganzes Land kurzerhand einzumauern. Ein Bummel über die Bernauer Straße in Berlin setzt der Verniedlichung des Sozialismus eindrucksvoll ein Ende. In den Boden sind „Stolpersteine“ eingelassen, die an Fluchtversuche erinnern, die entweder im Gefängnis oder im Grab endeten. Hier mahnen noch Mauer und Kontrollturm von der Entfremdung von Volk und Volksvertretung.

Dass im Jahr 2014 ernsthaft über den Begriff „Unrechtsstaat“ diskutiert werden muss, ist schwer verständlich. Nahezu unverständlich ist, dass ausgerechnet SPD und Grüne, die vor 25 Jahren als einzige glaubwürdige Neuparteien für einen demokratischen Aufbruch in der DDR standen, nun als Steigbügelhalter dem ersten Linkspolitiker ins Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen helfen wollen. Zwar hat sich die SED längst in PDS und dann in Linkspartei umbenannt, angesichts der Debatte der vergangenen Tage fragt man sich aber leise: Warum eigentlich? Twix schmeckt auch nicht anders als Raider.