Nach den Rücktritten in Kiel muss die Belastung in öffentlichen Ämtern Thema werden

Nach vier Rücktritten in drei Wochen muss man vielleicht mit dieser Feststellung beginnen: Ja, es gibt noch Politiker in Schleswig-Holstein, die ihrer Arbeit nachgehen. Einige haben sogar Spaß daran, sie kommen gesundheitlich klar, sind trotz hoher Arbeitsbelastung immer mal wieder für die Familie da und können selbst mit ungerechtfertigter Kritik einigermaßen gut umgehen. Wobei wir schon beim Kern all dieser Rücktritte wären. Was erwarten wir von unseren Politikern? Was muten wir ihnen zu?

Noch ist es nicht so, dass niemand mehr diesen Job machen möchte. Torsten Albig, der Ministerpräsident, hat relativ schnell neue Minister gefunden, nachdem Wende und Breitner von dannen gezogen sind. Auch der CDU ist innerhalb weniger Tage die personelle Neuaufstellung gelungen. Aber man hat doch das Gefühl, dass nicht wenige Politiker heute schneller als früher geneigt sind, alles hinzuwerfen und sich einem anderen, schöneren Leben zuzuwenden.

Über die Gründe kann man nur spekulieren. Besser gesagt: Über die Gründe muss man spekulieren. Denn die Rücktritte sind ein Warnsignal. Öffentliche Ämter werden zunehmend unattraktiv. Darin steckt zweifellos eine Gefahr für die Demokratie. Wenn das Ministeramt, das Amt des Fraktionschefs schnell als Last empfunden wird, wenn es in immer kürzeren Abständen personelle Wechsel gibt, dann wird Deutschland zu einer Behördendemokratie. Dann prägt nicht mehr der Minister einer demokratisch gewählten Regierung das Amt, dann prägen die Behördenmitarbeiter dieses Amt. Verbeamtet und schon seit 20 oder 30 Jahren auf dem Posten, können sie bei Neuerungen, Veränderungen, Reformen, die ein Kurzzeit-Minister vornehmen will, problemlos und planvoll Sand ins Getriebe streuen. Davon abgesehen dürfte klar sein, dass ein Minister im dritten oder vierten Jahr seiner Amtszeit besser, informierter und erfahrener arbeiten kann als im ersten oder zweiten.

Es geht also ums gute Regieren – und auch, das sollten wir nicht vergessen, ums gute Opponieren. Dafür müssten wir wohl zunächst einmal gute Arbeitsbedingungen für Menschen in politischen Führungspositionen schaffen. Seltsam, wie weit wir ausgerechnet in diesem Bereich davon entfernt sind. An keinem anderen Berufsstand sind die Veränderungen in der Arbeitswelt so sehr vorbeigegangen wie an den Politikern. Natürlich gibt es für sie keine Arbeitszeitkonten, natürlich kann hier keine einzige Überstunde abgebummelt werden. Im Gegenteil: Ein Ministerpräsident, der beispielsweise nicht beim Bauerntag erscheint, setzt sich sofort der Kritik aus. Als Erklärung fürs Fehlen wird gerade einmal ein wichtiger dienstlicher Termin akzeptiert. Was würden wir sagen, wenn er erklärte, er müsse zum Elternabend und könne deshalb nicht kommen?

Teilzeitmodelle, die in der Berufswelt schon längst zum Alltag geworden sind, werden in der Welt der Politik nicht einmal belächelt – weil niemand auf die Idee kommt, sie vorzuschlagen. Ist es möglich, den Posten des Landesvorsitzenden auf zwei Personen aufzuteilen, die dann nur den halben Stress haben?

Bis auf Weiteres gilt: Nein, das geht nicht. Wir erwarten von unserem politischen Spitzenpersonal permanente Verfügbarkeit. Wir erwarten sogar, dass Politiker nach einem Rücktritt monatelang die Hände in den Schoß legen – damit ja nicht der Verdacht aufkommt, sie würden bei ihrem neuen Arbeitgeber Wissen nutzen, das sie sich in ihrem politischen Amt angeeignet haben.

Politiker sind, so gesehen, verdammt schlecht dran. Wir sollten sie besser behandeln. Sonst setzt sich die Rücktritteritis fort – und wird unbehandelbar.