Das Reeperbahn Festival und andere Kulturevents zeigen: Das Besondere lockt Besucher

Schön, schöner, Hamburg. Auf diese einfache Formel lässt sich jener Lokalpatriotismus bringen, der sich an der Kulisse von Elbe und Alster ergötzt. Der Touristen mit leicht bekömmlicher Musical-Kost und Hafen-Panorama lockt. Das ist mehr als legitim. Und greift doch viel zu kurz. Das Reeperbahn Festival, das in der Nacht zu Sonntag mit einem Rekord von mehr als 30.000 Musikfans und Fachbesuchern zu Ende gegangen ist, zeigt überdeutlich: Da kommen Menschen in die Stadt, die die Vielfalt suchen, das Besondere, die Nische. Bei mehr als 400 Konzerten von Rock bis Rap, von Pop bis Punk, die an vier Tagen und Nächten zu erleben waren, standen zahlreiche Newcomer und (noch) nicht berühmte Bands auf den Bühnen St. Paulis. Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht? Im Gegenteil.

Im neunten Jahr des Festivals hat das Publikum gelernt, dass das Unbekannte äußerst schmackhaft sein kann. Und Neugierde kennt zum Glück kein Alter. Da war etwa eine ältere adrette Dame zu beobachten, die auf einen Stuhl kletterte, um über die Menge hinweg einen besseren Blick auf die munter spielende Band Yalta Club zu erhaschen. Im Anschluss beugte sie sich mit ihren Freundinnen sogleich über den Programmplan, um zu überlegen, welchen Club sie denn wohl als Nächstes ansteuern sollen.

Das Beispiel zeigt: Die Hamburger und deren Gäste, sie wollen Kultur entdecken. Sie wollen nicht bloß das Altvertraute vorgesetzt bekommen, das Gängige. Sondern sie möchten ihren Horizont erweitern, sich inspirieren lassen, auch mal quer und um die Ecke denken.

Die Hansestadt bietet reichlich Gelegenheit dazu. Seien es Dockville, Elbriot, die Metal Dayz, das Blurred-Edges-Festival, das Überjazz oder das Elbjazz im Musikbereich. Seien es das Hamburger Theaterfestival, das Kampnagel Sommerfestival, die Lessingtage, das Kaltstart- oder das Eigenarten-Festival im Theaterbereich. Seien es die Hamburger Ballett-Tage oder das Tanzplattform-Festival. Seien es das Kabarett-Fest oder das Comic-Festival. Seien es das Donnerstag beginnende Filmfest oder die Lange Nacht der Museen. Seien es die Lesetage oder das derzeit laufende Harbour Front Literatur Festival.

Bei all diesen Veranstaltungen ist zu erleben: Hamburgs Kultur summt und brummt. Und Scheuklappen sind da fehl am Platze. Mainstream – warum nicht? Experimentelles – ja bitte! Neuartiges – her damit! Solange es Kopf und Herz in Bewegung bringt. Interessanterweise erzeugt ausgerechnet jene Kulturszene bisher am wenigsten Wallung in Sachen Festival, die in Zukunft ein Wahrzeichen zu füllen hat. Und zwar mit Besuchern. Und mit Sinn. Das Internationale Musikfest Hamburg, das dieses Jahr die Klassik-Fans in Hamburg erstmals zusammenbringen sollte, gestaltete sich eher wie eine Ansammlung von Einzelveranstaltungen. Von einer lebendigen Plattform für angeregten und anregenden Austausch, in die sich jetzt der gesamte Kiez verwandelt hat, ist dieses Format noch weit entfernt. Insofern machte es Sinn, dass die Elbphilharmonie-Macher nun dorthingingen, wo die Festival-Dynamik, diese gewisse Magie und Energie, bereits bestens funktioniert: Beim Reeperbahn Festival veranstalteten sie einen eigenen Abend im Mojo-Club.

Überhaupt die Clubs. Der Rausch des Events, wie das Reeperbahn Festival eines ist, ist mitreißend. Klar. Aber es ist ein Ausnahmezustand, der ohne das alltägliche Engagement der Clubbetreiber nie und nimmer zu realisieren wäre. Und was die Betreiber all der schönen Konzertläden brauchen, ist vor allem eines: Freiraum. Mit niedrigen Mieten und bürokratischen Erleichterungen sollten daher Spielstätten begünstigt werden, in denen sich Künstler ausprobieren können. In denen Ungewöhnliches gedeiht. Damit es dann auch ganz selbstverständlich heißt: schräg, schräger, Hamburg.