Beim Streit um Uber geht es nur vordergründig um Mitfahrdienste. Es geht auch um die Frage, was vom Sozialstaat übrig bleibt

Internetkonzern sollte man sein. Dann haben einen alle lieb. Man zieht sich einen Kapuzenpulli über, duzt seine Kunden, macht auf cool und lobpreist die New Economy: das neue Wirtschaften, die neuen Werte, die „Share Economy“. Sie predigen das große Teilen, als ginge es um eine bessere Welt. Und die Deutschen, die zwar hinter allem und jedem eine Verschwörung vermuten, gehen ihnen leichtgläubig auf den Leim. Da verschieben sich alte Fronten: Selbst die grüne Jugend kämpft plötzlich für fragwürdige Internetunternehmer, und Prominente machen auch mal kostenfrei Werbung. Ein besonders peinliches Beispiel kam von Moderator Jan Böhmermann, dem Liebling aller Intellektuellen. Er twitterte empört über das Uber-Verbot: „Uber verboten. Das Taxigewerbe behält das Monopol auf Fahrgastnötigung, kotzeverschmierte Rücksitze und ‚Ische fa’ hie’ lang, isse schnelle!‘“

Zeit, ein paar Fakten zu sortieren. Reden wir zum Beispiel über die Firma Uber, die in den vergangenen Tagen die Schlagzeilen beherrschte. Das sogenannte Start-up-Unternehmen, was immer so nett gesagt wird und was wie ein verbales Kindchenschema funktioniert, ist ein Anbieter von Mitfahrgelegenheiten. Via Smartphone und App bringt Uber Menschen, die mit ihrem Auto von A nach B fahren, mit denen zusammen, die von A nach B möchten. Klingt gut, ist es aber nicht. Denn die vermeintlich freundliche Öko-Initiative kommt von den – mit Verlaub – größten Raubtieren im Kapitalismuszoo. Hinter den Investoren stecken so bekannte Namen wie die Investmentbank Goldman Sachs, Amazon-Gründer Jeff Bezos oder Google. Sie alle sind bekannt für ihre notorische Sucht, Steuern zu minimieren und Gewinne zu maximieren. Das alles ist erlaubt, fraglich aber ist, ob ein solches Unternehmen Welpenschutz benötigt. Erst recht, wenn man sich anschaut, was Uber genau treibt.

Denn das Geschäftsmodell ist in Deutschland nicht nur umstritten, vermutlich ist es in dieser Form illegal. Uber kassiert bei jeder Vermittlung einer Fahrt 20 Prozent des Preises, sticht aber jede professionelle Konkurrenz mit dem Unterlaufen von Genehmigungs- und Sozialstandards aus. Während Taxifahrer Lizenzen benötigen, der Fahrpreis von Behörden festgelegt ist und die Branche streng kontrolliert wird, kann bei Uber fast jeder losfahren. Personenbeförderungsschein? Bürokratie! Gesundheitszeugnisse? Geht auch ohne! Versicherungen? Nicht nötig! Kontrolle durch Behörden? Überregulierung! Einladung zur Schwarzarbeit? Hat doch Uber nichts mit zu tun. Die moralischen Grenzgänge der vermeintlichen Wirtschaft des Teilens hat Stefan Schulz kürzlich in einem sehr lesenswerten „Spiegel“-Essay ausgeleuchtet.

So geht es auch bei dem Streit über die Mitfahr-App um mehr als die Zukunft des Taxigewerbes. Es geht um die Frage, welche Grenzen der Rechtsstaat ziehen darf, welche Chancen Schwache und Starke haben und was uns der Sozialstaat am Ende wert ist. Die ersten Opfer von Uber sind die Taxifahrer, nach denen sich der Arbeitsmarkt nicht unbedingt verzehrt. Weitere werden folgen. In der vergangenen Woche hat das Landgericht Frankfurt Uber die Vermittlung von Fahrten ohne behördliche Zulassung bundesweit untersagt und mit einem Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro pro Fahrt gedroht.

Die Reaktion von Uber spricht Bände: Ein Gerichtsurteil hält die millionenschweren Unternehmer nicht auf. In einer demonstrativen Missachtung der deutschen Gerichte ließ das Unternehmen umgehend mitteilen: „Uber wird seine Tätigkeit in ganz Deutschland fortführen. Der Fortschritt lässt sich nicht ausbremsen.“ Wer das Geld von Google und Goldman im Rücken hat, mag sich um deutsche Gesetze nicht scheren, er zahlt Strafen aus der Portokasse. Und dann kommentiert Uber noch: „Die Wahlmöglichkeiten der Bevölkerung einzuschränken war noch nie eine gute Idee.“

Wer solche Sätze liest, weiß, warum vor allem die radikale amerikanische Tea Party Uber fest in ihre Gebete einschließt. Der bekannte US-Rechtsaußen Grover Norquist twitterte neulich: „Heute gibt es zwei politische Bewegungen in Amerika. Die eine steht auf der Seite von Uber, die andere auf der Seite der Steuerbehörden. Entscheide dich.“

Vielleicht sollten sich auch die Deutschen entscheiden.

Matthias Iken beleuchtet in seiner Kolumne jeden Montag Hamburg und die Welt