Grassierendes Desinteresse und viele Stimmen für die Ränder sind ein Warnzeichen

Die Sachsen haben viele Gründe, stolz zu sein. Der Freistaat zwischen Vogtland und Lausitz ist reich an Kultur, Natur und Geschichte. Es waren die Helden von Leipzig, die vor 25 Jahren mit ihrem Mut die Diktatur überwanden. Und es sind die Sachsen, die nach einem Vierteljahrhundert Freiheit am besten dastehen: Wirtschaftlich haben sie die anderen neuen Bundesländer weit abgehängt, in der Bildungspolitik liegen sie bundesweit vorne. Sie haben vieles richtig und weniger falsch gemacht.

Für diese Landtagswahl aber gilt das nicht. Vermutlich werden sich die Freiheitskämpfer aus Leipzig, die vor 25 Jahren ihr Leben für freie Wahlen riskierten, ihrer Landsleute schämen. Diese haben die Parteien an den Rändern weiter gestärkt, die Wahlbeteiligung fiel auf 48,9 Prozent. Mehr als jeder Zweite interessiert sich offenbar nicht für die politische Zukunft und die Zusammensetzung des Landtags. Das ist beschämend. Natürlich war die Entscheidung, die Wahl am letzten Feriensonntag abzuhalten, eine Torheit. Und ja, angesichts der Umfragen, die fast täglich die immer gleichen Zahlen verkündeten, hielten viele Sachsen die Wahl offenbar längst für entschieden. Demokratien aber leben nicht vom Sammeleifer der Demoskopen, sondern von jedem einzelnen Bürger: Wahlsonntage sind das Hochamt der Demokratie – sie bedürfen des Mittuns, der Mühe, der Meinungsfreude. Leider sind die Wahllokale inzwischen so leer wie die Kathedralen. Die Sachsen haben gezeigt, wie schnell das einst Ersehnte zum lästigen Alltag werden kann.

Zugleich haben sie die politischen Ränder gestärkt. Die Linkspartei mag zwar geläutert sein, sie steht aber noch immer für das Erbe der SED. Fast jeder fünfte Sachse machte hier sein Kreuz – die SPD, neben den Grünen die wahren Oppositionsparteien des demokratischen Aufbruchs 1990, ging wieder unter. In Sachsen, wo einst August Bebel und Ferdinand Lassalle ihre politische Heimat fanden, wo die SPD noch in der Weimarer Republik stets die stärkste Partei stellte, liegen die Sozialdemokraten heute nur noch knapp von der Alternative für Deutschland (AfD). Dabei hatten sie mit Martin Dulig einen Spitzenkandidaten, der allseits geschätzt wie geachtet ist. In Sachsen aber hätte vermutlich selbst Superman die Wahl verloren, wäre er mit dem roten Parteibuch angetreten.

Die Dominanz der CDU in Sachsen erinnert an die CSU in Bayern. Seit den ersten freien Wahlen 1990 stellt sie ununterbrochen den Ministerpräsidenten, und längst sitzen ihre Leute an den Schalthebeln der Macht. Trotz des beeindruckenden Ergebnisses kann sich die Union aber nicht über das Ergebnis freuen: Ihr Koalitionspartner FDP ist aus dem Landtag geflogen. Spätestens im kommenden Jahr bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg benötigt die Partei ein Erfolgserlebnis, wollen die Liberalen nicht ihr politisches Aus erleben.

Ausgerechnet die wenig liberale AfD könnte zum Sterbehelfer der FDP werden: Sie gewinnt ihre Stimmen bei Denkzettelverteilern, entwurzelten Konservativen, aber eben auch bei enttäuschten Wirtschaftsliberalen: Hans-Olaf Henkel ist nicht allein. Die 18.000 Stimmen, die von der FDP zur AfD wanderten, brachen den Liberalen in Sachsen das Genick. Auffällig ist, dass sich der Erfolg der Euro-Kritiker aus vielen Quellen speist. Die Taktik, die AfD auszugrenzen und totzuschweigen, verfängt nicht. Man wird sich mit ihren Thesen auseinandersetzen müssen.

Grotesk mutet an, dass die rechtsradikale NPD, die in den vergangenen zehn Jahren außer Eklats, Skandalen und Ausfällen nichts zustande brachte, trotzdem wieder fünf Prozent erreicht. Das grenzt an Demokratieverachtung. Ohnehin sollte sich keiner täuschen: Die Partei der Nichtwähler wäre in Sachsen die stärkste Partei geworden (51 Prozent), während die vier klassischen Westparteien in dieser Rechnung nur 30 Prozent erzielten. Das ist nicht nur für Sachsen ein Denkzettel, sondern für das gesamte wiedervereinigte Deutschland.