Die bürokratische und ineffektive Pkw-Maut muss in Deutschland verhindert werden

Fiat iustitia et pereat mundus! Die lateinische Weisheit bedeutet so viel wie: Es soll Gerechtigkeit geschehen – und gehe die Welt darüber zugrunde. Zugeschrieben wird sie Papst Hadrian VI., einem wackeren Niederländer, der in den bewegten Jahren 1522/23 den Stuhl Petri für kurze Zeit innehatte. Es war eine bewegte Epoche: Die Reformation gewann an Fahrt, die Türkenkriege hielten ganz Europa in Atem, ebenso der Dauerkonflikt zwischen dem Hause Habsburg und Frankreich. Wer sehnt sich da nicht nach Gerechtigkeit!

Nur ist Gerechtigkeit eine dehn- und interpretierbare Größe. Zu jeder Zeit hat so ziemlich jeder etwas anderes darunter verstanden. In unserer modernen, von Aufschwung und zunehmendem Wohlstand geprägten Nachkriegsepoche wird Gerechtigkeit vor allem mit dem Adjektiv „soziale“ von der hauptamtlich dafür zuständigen Partei, der SPD, verwendet. Aber auch die CSU hat das große Thema Gerechtigkeit im Programm, wenn es denn Wählerstimmen verspricht. Das hat bei Mütterrente und Betreuungsgeld funktioniert. Und mit dem nahezu unschlagbaren Gerechtigkeitsargument soll nun Verkehrsminister Dobrindt im Auftrage seines Herrn und Meisters Seehofer der Pkw-Maut in Deutschland zum Durchbruch verhelfen. Schließlich müssen die Bayern bei den österreichischen Nachbarn ein Pickerl erwerben, wollen sie deren Autobahnen benutzen. Im Freistaat seit Langem ein Aufreger – und mithin potenzialträchtig für seehofersche Volksnähe.

In der Praxis zeigen sich dann schnell die Fallstricke angeblicher Gerechtigkeit: Weil deutsche Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden sollen, winkt ihnen Erleichterung bei der Kfz-Steuer. Das ist nicht nur europarechtlich höchst fragwürdig, sondern erfordert auch einen enormen Verwaltungsaufwand. Weil die Kosten-Nutzen-Rechnung von Anfang an nicht berauschend aussah, soll die Maut nun nicht mehr nur auf Autobahnen, sondern auf allen Straßen fällig werden. Das finden die Politiker in Bundesländern mit Außengrenzen furchtbar ungerecht – auch die aus dem eigenen politischen Lager. Der heimischen Wirtschaft drohten erhebliche Einbußen, wenn die Nachbarn etwa aus den Niederlanden, Belgien oder Österreich nicht mehr so häufig wie bisher zum Einkaufen oder Essen herüberkämen. Sie fordern Ausnahmeregelungen für die Grenzregionen. Aber sind Extrawürste gerecht?

Angeblich werden die Mauteinnahmen dringend benötigt, um unsere Verkehrsinfrastruktur zu sanieren. Aber selbst wenn Dobrindts Berechnungen aufgehen sollten und die Maut 625 Millionen Euro netto in die Staatskasse spülen sollte, wäre das nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Experten haben berechnet, dass jährlich sieben Milliarden notwendig wären, um Straßen und Brücken zu sanieren. Einmal davon abgesehen, dass der Staat dank guter Konjunktur derzeit nicht an Einnahmemangel krankt, sondern ein Ausgabenproblem hat: Soll die Maut tatsächlich wirkungsvoll der Verkehrsinfrastruktur zugutekommen, wäre sie nur sinnvoll, wenn sie auch alle deutschen Autofahrer berappen müssten.

Das wiederum würde eine Mautspirale in Europa in Gang setzen. Wer bis jetzt noch keine Kassenhäuschen an Straßen errichtet hat oder teure Aufkleber für die Windschutzscheibe verlangt, wird es auch tun. Das vereinte Europa fällt auf seinen Straßen in die Epoche der Kleinstaaterei und der nationalen Egoismen zurück.

Über die bayerische Variante der Gerechtigkeit geht sicherlich nicht die Welt zugrunde. Aber der Glaube daran, dass deutsche Politiker zu solider, effizienter und ehrlicher Haushaltspolitik fähig sein könnten, nimmt erheblich Schaden.