Müssten beide Zwillinge denselben Pullover tragen, würde einer ziemlich frieren. „Derselbe“ und „der gleiche“ sind nicht dasselbe

Heinrich Puttfarken sen. ist der Vater, Heinrich Puttfarken jun., auch schon über 50, ist der Sohn. „Ich trage denselben Vornamen wie mein Vater“, erklärt der Sohn. Wie soll das klappen? Wenn beide denselben Vornamen hätten, müssten sie sich diesen einen Vornamen Heinrich ja teilen – der Vater morgens und der Sohn nachmittags oder der eine an ungeraden und der andere an geraden Tagen. Die Familie Puttfarken sollte nicht so knickerig sein und sich einen zweiten „Heinrich“ zulegen. Natürlich besitzt der Sohn den gleichen Vornamen wie sein Vater. Heinrichs gibt es viele auf der Welt, sodass man sie durchaus großzügig verteilen darf.

Frau Müller-Wiesengrün hat Zwillinge bekommen, zwei Jungen. Frau Kripgans von nebenan schaut in den Kinderwagen und ruft: „Oh, wie nett, die Zwillinge haben denselben Pullover an!“ Das würde bedeuten, dass das eine Kind den Pullover trägt, und das andere liegt daneben und friert. Selbstverständlich hat Frau Müller-Wiesengrün in der angesagten Baby-Boutique Brüll & Bautz zwei gleiche Pullover der Größe 56 gekauft.

Noch ein Beispiel? Ina, 15, durfte ein Schülerpraktikum beim Abendblatt machen. In ihrem Erfahrungsbericht erklärt sie später ihrer Klasse: „Alle Redakteure der Zeitung benutzen denselben Computer.“ Auweia, das würde ein schlimmes Gedränge geben, wenn für einige Hundert Mitarbeiter nur ein einziger Computer zur Verfügung stünde! Natürlich benutzen alle den gleichen Computer, nämlich je einen PC eines bestimmten amerikanischen Herstellers.

Es besteht in der Alltagssprache eine große Unsicherheit bei der Verwendung der Wörter derselbe, dieselbe, dasselbe bzw. der gleiche, die gleiche, das gleiche. Allesamt bezeichnen eine Übereinstimmung, eine Identität. Dennoch gibt es einen deutlichen Unterschied im Gebrauch. Für die Kennzeichnung der Identität einer einzelnen Person oder Sache, die es nur einmal gibt, verwendet man das Demonstrativpronomen derselbe, dieselbe, dasselbe: Er trägt denselben Anzug wie gestern (der Anzug ist identisch, selbst wenn er vielleicht einmal aufgebügelt werden sollte), oder: Sie stammt aus demselben Dorf wie ich (wir beide kommen aus Klein Kleckerhusen an der Süderbeek).

Will man allerdings die Identität einer Gattung oder Art ausdrücken – es gibt also mehrere gleich aussehende Modelle einer Art –, sind die Adjektive der gleiche, die gleiche, das gleiche angebracht: Er trägt den gleichen Anzug wie gestern (es ist ein anderer Anzug, der aber genauso aussieht), oder: Ich möchte den gleichen Wein wie der Herr am Nebentisch (wollte ich denselben Wein, müsste man dem anderen Gast ja das Glas wegnehmen). Wir sollten auch sagen: Wie trafen uns um die gleiche Uhrzeit wie gestern. Zwar zeigt die Bahnhofsuhr heute wie gestern genau 16 Uhr an, und trotzdem ist es, ganz pingelig gedacht, nicht dieselbe Zeit, denn Mittwoch, 16 Uhr, ist auf der Zeitleiste des Lebens nicht identisch mit Donnerstag, 16 Uhr.

Wie gesagt, das ist so übergenau konstruiert, dass es schon fast hinterhältig daherkommt. Deshalb verwischt der Unterschied zwischen demselben und dem gleichen in der Umgangssprache immer mehr, wenn aus dem Zusammenhang eindeutig erkannt werden kann, welche Identität gemeint ist. Der Duden ist bereits eingeknickt, obwohl er allein für diesen Fragenkomplex eine weitere Mitarbeiterin in seiner telefonischen Sprachberatung (1,99 Euro/Min.) beschäftigen könnte.

Falls jedoch Missverständnisse drohen, müssen wir die Identität der Gattung sowie die Identität der Einzelperson und des Einzelgegenstands sorgfältig unterscheiden: Die beiden Monteure der Firma fahren denselben Wagen, bedeutet, dass beide den einen Firmenwagen abwechselnd benutzen. Die beiden Monteure der Firma fahren den gleichen Wagen, sagt hingegen aus, dass beide je einen Wagen desselben Fabrikats zur Verfügung haben. Genau hinhören muss man auch, wenn Mutter sagt: Mein Sohn und sein Vetter besuchen dieselbe Schule. Dann gehen beide in die Sophie-Scholl-Schule. Wenn sie aber die gleiche Schule besuchen, kann das bedeuten, dass zwar beide Gymnasiasten sind, der eine jedoch in Blankenese und der andere in Bergedorf.

Der Verfasser, 73, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags